Von Andreas Ehlert
Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf
Das Jahr 2021 endet leider so, wie es begonnen hat: Mit hohen Infektionszahlen und starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die aktuelle pandemische Lage ist besorgniserregend und erfordert schnelles und konsequentes Handeln. In dieser Notsituation ist es gut und wichtig, dass wir nun eine neue Bundesregierung haben, die das politische Vakuum füllt. Eine monatelange Hängepartie wie nach der letzten Bundestagswahl hätten wir uns jetzt nicht leisten können. Dafür sind die Herausforderungen einfach zu groß.
Das gilt natürlich zuallererst für die Pandemiebekämpfungen aber genauso für die drei großen Transformationsaufgaben des 21. Jahrhunderts: Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografischer Wandel. Denn diese einschneidenden Veränderungen werden nicht warten, bis wir die Pandemie bewältigt haben. Die neue Bundesregierung muss ab sofort die Weichen richtig stellen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auch in Zukunft zu sichern.
Wie das nach den Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP gelingen soll, verrät der kürzlich vorgestellte Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“. Aber wie viel Fortschritt steckt in den 177 Seiten für den Mittelstand?
Für das nordrhein-westfälische Handwerk geht der Koalitionsvertrag in die richtige Richtung. Das Programm der künftigen Bundesregierung enthält große Ambitionen und wichtige Vorhaben – aber auch einige Fragezeichen. Positiv ist zuallererst der Verzicht auf Steuerhöhungen und eine Vermögenssteuer. Unsere Unternehmen brauchen gerade jetzt jeden Euro für Investitionen in die Zukunft. Denn allen muss klar sein: Das notwendige Kapital für die Transformation unserer Wirtschaft muss vor allem aus den Unternehmen kommen. Dafür sind auch die geplanten Superabschreibungen auf Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung ein wichtiges Element.
Ganz entscheidend sind zudem das geplante Bürokratieentlastunggesetz, die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und die Modernisierung der Verwaltung. Dahinter steht ein klares Ziel: Staatliches Handeln schneller, digitaler und effizienter machen. Hier haben sich die drei Parteien mit der Halbierung der Verfahrensdauern viel vorgenommen. Sollte dies gelingen, wäre das ein echter Fortschritt für unsere Betriebe.
"Der Koalitionsvertrag bietet die Chance für einen Aufbruch. Doch wie so oft gilt: In der konkreten Umsetzung zeigt sich, ob aus großen Ambitionen auch tatsächlich großer Fortschritt wird."
Auch für die berufliche Bildung hat die Ampel mehrere wichtige Vorhaben auf der Agenda. Dazu gehört die Einrichtung einer Exzellenzinitiative ebenso wie der flächendeckende Ausbau der Berufsorientierung und die Öffnung der Begabtenförderwerke für Auszubildende. Und auch die überfällige Abschaffung der EEG-Umlage ist eine nicht zu unterschätzende Entlastung für den handwerklichen Mittelstand in Nordrhein-Westfalen.
Zu Guter Letzt begrüßt das Handwerk natürlich auch das Ziel, bundesweit 400.000 Wohnungen pro Jahr zu errichten. Wie dieses ehrgeizige Versprechen in die Tat umgesetzt werden soll, bleibt aber offen. Denn dafür braucht es eben nicht nur Kapital, sondern auch die entsprechenden Fachkräfte aus dem Handwerk. Viele unserer Bau- und Ausbaubetriebe arbeiten aber schon jetzt am Limit. So haben etwa Maurer und Betonbauer in NRW eine Auftragsreichweite von 14 Wochen, Elektrotechniker liegen bei 11 Wochen und Dachdecker sogar bei mehr als 15 Wochen. Deshalb ist klar: Ohne Fachkräfte laufen viele der Pläne ins Leere.
Die größte offene Baustelle der Ampel gibt es aber ohne Frage bei der Zukunftsfähigkeit der Sozialversicherung. Ein klares Bekenntnis zur Einhaltung der 40%-Grenze bei den Sozialversicherungsbeiträgen sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich. Hier braucht es dringend tragfähige Strukturreformen, sonst drohen Kostenexplosionen, die vor allem das personalintensive Handwerk treffen.
Gerade bei der Rente fehlt aber der große Wurf. Denn trotz demografischem Wandel sollen sowohl das Renteneintrittsalter und der Beitragssatz als auch das Rentenniveau stabil bleiben. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass diese Rechnung auf kurz oder lang nicht aufgeht. Wie schon die Vorgängerregierung verschiebt die Ampel hier ein grundlegendes Problem in die Zukunft.
Und dennoch haben SPD, Grüne und FDP mit ihren Vorhaben in vielen Bereichen den richtigen Weg eingeschlagen. Der Koalitionsvertrag bietet die Chance für einen Aufbruch. Doch wie so oft gilt: In der konkreten Umsetzung zeigt sich, ob aus großen Ambitionen auch tatsächlich großer Fortschritt wird.