Energiepolitisch waren die vergangenen 12 Monate turbulent. Deutschland hat viel geschafft und die Versorgungskrise erfolgreich bekämpft – bislang. Jetzt gilt es, nach vorne zu blicken, nicht nur bei der Sicherung der Versorgungssicherheit, sondern insbesondere bei der Energiewende, beim Klimaschutz, für mehr erneuerbare Energien und saubere Technik. Auch da ist schon viel angestoßen worden. Aber wenn wir die Klimaziele 2030 erreichen wollen, dann müssen wir auf dem Weg in das Energiesystem der Zukunft noch schneller werden.
In den Monaten nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ging es Schlag auf Schlag: Schwimmende Terminals für Flüssiggas-Importe wurden gechartert und in Rekordzeit mit der notwendigen Infrastruktur eingerichtet. Die Gasspeicher wurden wieder gefüllt. Unternehmen, die durch die Krise in Not gerieten, wurde geholfen – teilweise bis hin zur Verstaatlichung. Laufzeiten von Kohle- und Kernkraftwerken wurden verlängert, andere Kraftwerke aus der Reserve zurückgeholt. Große Anstrengungen zum Energiesparen und zur Umstellung von Gas auf andere Energieträger wurden ergriffen. Alles, um Versorgungssicherheit, die bislang immer als Selbstverständlichkeit gesehen wurde, zu gewährleisten. Die Sorge vor Versorgungsengpässen verlieh den Handelnden in Politik und Wirtschaft Flügel.
So haben wir die akute Versorgungskrise bislang gut bewältigt: Deutschland ist gut durch den – vergleichsweise warmen - Winter gekommen. Parallel wurden erste Schritte gemacht, die Herausforderungen der Zukunft anzugehen, insbesondere für die Transformation der Energieversorgung. Die Risiken des Klimawandels werden immer spürbarer. Als einen Beitrag für weniger Emissionen und mehr Klimaschutz haben wir – mit Blick auf die Zeit nach der Gaskrise – den Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier vereinbart. Damit schaffen wir eine klare Perspektive in der Region.
Damit dieser Kohleausstieg aber gelingen kann, muss Deutschland gleichzeitig auch einsteigen. Es gilt, nach vorne zu denken, denn bis 2030 sind es nur noch weniger als sieben Jahre – und die Ziele, die sich Politik und Gesellschaft für die Energiewende bis dahin gesteckt haben, noch weit entfernt. Deutschland muss sich aus der Krise heraus investieren – und mit der Versorgungskrise auch gleichzeitig den drohenden Klimawandel bekämpfen. Für die noch ausstehenden Entscheidungen zu Energiewende und Klimaschutz brauchen wir jetzt das gleiche Tempo und das gleiche Engagement, mit der die Bewältigung der Versorgungskrise in Angriff genommen wurden.
Entscheidungen und Weichenstellungen kurzfristig treffen
Geschwindigkeit und Erfolg der Transformation hin zu einer Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr und Gebäuden hängen davon ab, wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Aufbau von perspektivisch grüner gesicherter Leistung als Ersatz für Kernenergie und Kohle gelingt. Wir haben die Lösungen, wir haben die Investitionsbereitschaft – was wir brauchen, um den Kohleausstieg 2030 zu schaffen, sind Flächen, Genehmigungen und das passende Marktdesign, damit wir auf ein nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem mit wasserstofffähigen Gaskraftwerken als Absicherung umsteigen können.
Für den Ausbau der erneuerbaren Energien haben die Gesetzgeber in EU und im Bund mit den jüngst eingeleiteten Reformen, z.B. durch die Feststellung des „überragenden öffentlichen Interesses“, der Festlegung von Flächenzielen für die Bundesländer oder der – leider noch befristeten – EU-Notfallverordnung für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren die Weichen gestellt. Jetzt kommt es hier auf die Umsetzung vor Ort an. Offen sind insbesondere das künftige Marktdesign und die Anreize für den Zubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken.
Zurecht sollen einerseits die niedrigen Stromerzeugungskosten von Wind und Sonne bei den Verbrauchern ankommen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu sichern. Andererseits müssen aber auch die notwendigen Investitionsanreize in Energiewendetechnologien erhalten bleiben. Wie auch Analysen der Dachorganisation der europäischen Regulierungsbehörden zeigen, braucht es daher keine Revolution an den Energiemärkten. Das jetzige System sorgt für eine optimale und effiziente Nutzung verfügbarer Ressourcen wie Kraftwerke, Speicheranlagen und grenzüberschreitenden Verbundnetzen. Eingriffe in den Markt dürfen die für den Ausbau der erneuerbaren Energien wichtigen langfristigen Stromlieferverträge – so genannte Power Purchase Agreement (PPAs) – nicht austrocknen. Sie ermöglichen langjährige und preisstabile Versorgungsbeziehungen zu kalkulierbaren Bedingungen – auch in Zeiten von externen Schocks. So geben PPAs – in Kombination mit Contract for Differences (CfDs) – den Investoren Sicherheit über die zu erwartenden Erträge. Besonders bei Offshore Wind werden damit die langen Entwicklungszeiträume abgesichert.
Neben Anreizen für Investitionen in erneuerbare Energien braucht es aber auch Anreize für die Bereitstellung CO2-freier gesicherter Leistung, wie sie künftig etwa Gaskraftwerke auf Basis grünen Wasserstoffs erbringen sollen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat deren Bedarf in Deutschland bis 2030 auf 17 bis 25 Gigawatt beziffert. Damit diese auch rechtzeitig vor 2030 zur Verfügung stehen und die gesicherte Leistung der Kohlekraftwerke ersetzen, braucht es kurzfristig geeignete Mechanismen – bspw. einen Investitionskostenzuschuss, über den noch in 2023 entschieden werden muss – und langfristig einen Kapazitätsmechanismus. Denn über den Verkauf von Strom allein werden sich die neuen Anlagen, die in Zukunft nahezu CO2-freien, sicheren Strom liefern sollen, nicht refinanzieren können. Um ihren Betrieb mit Wasserstoff zu ermöglichen, braucht es darüber hinaus einen sicheren Anschluss ans kommende Wasserstoffnetz und einen Ausgleich der Mehrkosten des Wasserstoffbetriebs gegenüber dem Einsatz von Gas.
Die Ziele sind gesetzt – 80 % erneuerbare Energien in 2030, Klimaneutralität in 2045. Damit Deutschland aus der Kohle aussteigen und seinen Kraftwerkspark für diese Ziele fit machen kann, braucht es Entscheidungen – nicht erst in 2026 nach den nächsten Wahlen, sondern jetzt, in 2023. Die Politik muss die notwendigen Weichen stellen und Investitionsbremsen lösen, am Besten im neuen Deutschland-Tempo. Damit unsere Energieversorgung wettbewerbs- und zukunftsfähig und gleichzeitig unsere industrielle Basis gesichert wird.