Die dringende Notwendigkeit der Veränderung hin zu einer digitalisierten und klimaneutralen Gesellschaft ist bei nahezu allen Unternehmen verstanden und viele haben sich auf den Transformationspfad begeben. Zusätzlich werden die oft tiefgreifenden Veränderungen von schweren geopolitischen und wirtschaftlichen Krisen flankiert. Damit sind die finanziellen und organisatorischen Herausforderungen an die Unternehmen komplex und stellen permanent hohe Ansprüche an alle Unternehmen aller Größenordnungen.
Betroffen in NRW sind besonders die alteingesessenen und tief verwurzelten Unternehmen, die sich über Jahrzehnte in ihren Lieferketten regional oder national sehr stark vernetzt haben. Wenn Teile dieser Netzwerke verschwinden, dann wird das gesamte Ökosystem gestört und im schlimmsten Fall zerstört.
Unternehmen auf dem Transformationspfad
Mit einer fast 200-jährigen Tradition hat sich auch unser familiengeführtes Unternehmen NEUMAN & ESSER vor mehreren Jahren auf den eigenen Transformationspfad begeben.
Mit fünf Produktionsstandorten in Deutschland sind wir ein fest verankerter Bestandteil regionaler und nationaler Lieferketten. Ca. 90% der hier hergestellten Produkte werden als Kernkomponenten exportiert, die durch unsere lokalen Firmen weltweit in der Nähe unserer Kunden zu Anlagenlösungen komplettiert werden.
Bei diesen Anlagenlösungen handelt es sich seit nahezu 100 Jahren einerseits um kundenspezifische Prozessgaskolben- und Membrankompressorsysteme, und andererseits um Systeme der mechanischen Verfahrenstechnik zum Mahlen und Sichten von Feststoffen.
Unsere Kunden kommen aus unterschiedlichen Industriesektoren, viele aus der chemischen und traditionellen Öl- und Gasindustrie sowie der Energiewirtschaft – allesamt mit entsprechenden Herausforderungen bei der Erreichung von Defossilisierungszielen durch die Nutzung der PtX-Technologie, also von grünem Wasserstoff.
Mit der Entwicklung und dem Bau von Elektrolyseuren haben wir vor 4 Jahren eine weitere Schlüsseltechnologie in unser Produktportfolio aufgenommen und werden so zu einem Wegbereiter für die Wasserstoff-Marktwirtschaft von morgen. Zusätzlich fokussieren wir stark auf Lösungen für die Kreislaufwirtschaft und unterstützen damit die Ausweitung einer Industrie auf Basis recyclierter Eingangsstoffe.
Überstrapazierung durch administrative und finanzielle Belastungen
Diese Transformation zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell – dieses Sich-Neu-Erfinden – verlangt hohe Investitionen und ist mit einem Risiko behaftet, das wir als Unternehmerfamilie gerne tragen, um einen signifikanten Beitrag zu leisten.
Da im internationalen Wettbewerb größte Eile geboten ist, sind zusätzliche Hürden in Form von administrativen und finanziellen Belastungen wenig förderlich, denn sie führen zu einer Überstrapazierung von Unternehmen und ihrer Belegschaften.
Dabei beobachten wir mit Sorge, dass unsere regionalen, langjährigen Lieferanten, die ein wichtiger Bestandteil unseres Geschäftsmodells sind, weniger werden, da sie unter den sich verschlechternden Standortbedingungen ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Steigende Lohnkosten, immer mehr Auflagen und hohe Energiepreise entziehen ihnen zunehmend die Geschäftsgrundlage. Diesen negativen Trend erkennen wir insbesondere bei energieintensiven Bauteilen, wie Handformguss und Handformschmiedeteile, die wir selbst mechanisch bearbeiten. Eine Beschaffung dieser Rohteile aus fernen Ländern macht allein schon aus Transport- und Qualitätsgründen keinen Sinn.
Die oft komplexen Genehmigungsverfahren beim Ausbau erneuerbarer Energien und nachgelagerter Infrastrukturmaßnahmen für den Transport- und die Speicherung, die elementar für ein Gelingen der Energiewende sind, ziehen den Wandel unnötig in die Länge. Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität, leider nicht nur “gefühlt” sondern in vielen Statistiken nachgewiesen.
Deutliche politische Kurskorrekturen für Wettbewerbsfähigkeit notwendig
Unter diesen Bedingungen müssen wir uns auf dem Weltmarkt gegen Wettbewerber aus Indien und mit steigender Tendenz auch aus China behaupten. Die Innovationskraft unser Wettbewerber steigt stetig durch sehr gute lokale Ausbildung sowohl für Facharbeiter wie auch für Ingenieure. Unser Technologievorsprung wird hierzulande leider durch ein stagnierendes Bildungsniveau verspielt, auch das ist in jüngsten internationalen Vergleichen nachgewiesen.
Wenn wir hier am Standort Deutschland weiterhin erfolgreich sein wollen, dann muss auch die Bereitschaft zur Leistung wieder deutlich erkennbar werden. Zum Mangel an Fachkräften in vielen Bereichen und zur Überalterung der Gesellschaft, passen die Forderungen nach immer geringerer Arbeitszeit einfach nicht. Diese sich zuspitzende Situation gibt den Standorten in der Welt weiteren Auftrieb.
Damit wir unser sehr resilientes, nachhaltiges und noch relativ wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell vor dem Hintergrund unserer Transformation weiter ausbauen können, bedarf es jetzt deutlicher politischer Kurskorrekturen: lokale Lieferketten dürfen nicht zerbrechen, die Faktorpreise dürfen nicht weiter steigen, die Bürokratie darf nicht noch komplexer werden, Unternehmenssteuern und Abgaben müssen reduziert werden, die Stagnation unseres Bildungsniveaus muss gestoppt werden und die fragwürdige Haltung zur Leistungsgesellschaft muss wieder korrigiert werden.
Wir als Familienunternehmen sind eben nicht „Shareholder Value“-gesteuert, sondern seit vier Generationen mit Stolz, tiefer regionaler Verwurzelung, großer Innovationskraft und viel Herzblut jeden Tag am Standort Deutschland. Und das soll auch so bleiben.