Das Jahr 2022 wird uns noch beschäftigen. Natürlich spielen dabei neben Corona die Auswirkungen der Jahrhundertflut im Sommer 2021 eine Rolle. Noch immer. Und noch mehr – sehr grundsätzlich – der russische Überfall auf die Ukraine. Von einem Tag auf den nächsten spüren wir die Folgen von Fahrlässigkeiten und Abhängigkeiten – zum Beispiel in der Energieversorgung. „Kritische Infrastruktur“ ist eine Vokabel, die recht neu in meinem aktiven Wortschatz Platz gefunden hat. Globale Lieferketten sind fragil. Das wissen wir nun. Inwieweit darf man sich von Ländern abhängig machen, die nicht unsere demokratischen Werte teilen? Es war naiv zu glauben, dass nach dem Fall der Mauer 1989 eine eigenständige deutsche Sicherheitspolitik entbehrlich würde – und sich Russland mit dem Westen nur noch zum Ringelreihen trifft. Dürfen wir uns einmischen? Wir müssen. Längst geht es nicht mehr um die Frage, ob Deutschland die Ukraine mit Waffen unterstützt. Vielmehr: Wie viele und welche? Scheinbar zementierte Grundpfeiler der Außenpolitik gelten innerhalb von zwölf Monaten nicht mehr.
Südwestfalen: Eine Region leidet
Dies alles trifft von außen mit massiven Auswirkungen Südwestfalen. Doch mitten im Verbreitungsgebiet der Westfalenpost steht ein Symbol für Zögerlichkeit und Versagen im Innern. Seit dem 2. Dezember 2021 ist die Rahmedetalbrücke und damit die A 45 bei Lüdenscheid gesperrt. Die Region leidet: Fahrzeugkolonnen quälen sich durch die Stadt, Unternehmen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erleben angesichts eines quälend langsamen Planungs- und Vergabeverfahrens Perspektivlosigkeit. Der Brücken-Sonderbeauftragte hätte schon mehrfach frustriert aufgeben können. Er hält durch. Auch eine Bahnstrecke musste gesperrt werden. Stadt und Land tun ihr Mögliches, um Folgen abzuschwächen und das Projekt voranzubringen. In Südwestfalen arbeiten verschiedene Institutionen Hand in Hand und entwickeln einen Maßnahmenkatalog. Es entspricht der Grundhaltung in der drittstärksten deutschen Industrieregion, anzupacken und nicht auf andere zu warten. Doch nach über einem Jahr ist die Rahmedetalbrücke noch immer nicht gesprengt.
Es ist bitter, dass der Bundesverkehrsminister das Projekt zwar zur Chefsache erklärt, aber auch im Exklusivinterview mit der WP den Knoten nicht zu durchschlagen vermag. An der Rahmedetalbrücke lässt sich beispielhaft der Zustand der maroden Verkehrsinfrastruktur in Deutschland festmachen – und der Umgang mit der Problemlösung. Wir ahnen, was auf uns zukommt.
"Wer die Brücken in die Zukunft bauen möchte, muss damit auf der A 45 bei Lüdenscheid anfangen."
Nur sehr selten werden Südwestfalen persönlich. Auf dem Jahresempfang der SIHK in Hagen hatte ich Gelegenheit, mit zwei Unternehmerinnen und einem Unternehmer auf dem Podium über ihr Seelenleben zu sprechen. Ihre Energie geht in die Sorge um Mitarbeiter, Kunden und Nachfolger innerhalb der Familie. Die emotionale Last ist nur noch schwer zu stemmen.
Unser Leben verändert sich in immer höherem Tempo. Wir benötigen neue und schnellere Antworten auf grundlegende Fragestellungen. Die alten Instrumente greifen nicht mehr. Wer die Brücken in die Zukunft bauen möchte, muss damit auf der A 45 bei Lüdenscheid anfangen. Jetzt.