Zwei Monate nach der Landtags- und zwei Monate vor der Bundestagswahl stellt sich NRW neu auf. Gerade mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl bleiben allerdings noch viele Fragen offen.
Im vergangenen Jahr wurde die wirtschaftspolitische Debatte in NRW von der Sorge um die Entwicklung unseres Wirtschaftsstandorts beherrscht. Unserem Bundesland ist es zuletzt nur selten gelungen, Anschluss an die deutsche Wachstumsdynamik zu finden. Nach der Stagnation im Jahr 2015 konnte NRW 2016 immerhin wieder den Bundesdurchschnitt erreichen. Um den Herausforderungen aus Demografie und Zuwanderung begegnen zu können und gleichzeitig unseren Wohlstand zu erhalten, reicht dies jedoch nicht aus. NRW wird mehr Wachstum brauchen.
Die neue Landesregierung hat diese Notwendigkeit erkannt und als maßgebliches Ziel in ihren Koalitionsvertrag eine Wachstums- und Ermöglichungsoffensive aufgenommen. Sie will die kommenden fünf Jahre nutzen, um NRW wieder zum Impulsgeber für Deutschland zu machen.
Der Weg hierhin führt über eine starke und wettbewerbsfähige Wirtschaft. In den Koalitionsverhandlungen sind erste wichtige Schritte vereinbart worden, um die Voraussetzungen für Wachstum und Innovation in der Wirtschaft zu verbessern. Neben den konkreten Maßnahmen wie mehr Investitionen oder die Stärkung der Gründungsaktivitäten kann NRW vor allem von einem Wandel in der Mentalität hin zu mehr Offenheit profitieren.
Um NRW wieder zum wirtschaftlichen Motor für die gesamte Bundesrepublik zu machen, wird es mehr Engagement auf allen Ebenen von den Kommunen bis in den Bund erfordern. Dabei ist klar, dass es in einem Bundesland mit 18 Millionen Einwohnern und 750.000 Unternehmen keine einfachen Lösungen geben wird. Längst stellt sich die Wirtschaftsstruktur NRWs vielfältiger dar, als manche glauben. Entsprechend unterscheiden sich die Anforderungen der Unternehmen an ihren Standort nach Branchen und Regionen, nach der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten und je nach dem Standort vor Ort.
Dennoch ist gerade auch aus Berlin der genauere Blick auf die Herausforderungen des Landes lohnend. Nordrhein-Westfalen ist weiterhin das wirtschaftliche Schwergewicht Deutschlands. In NRW werden mehr als 21Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. NRW ist Ausgangs- und Zielpunkt vieler Wertschöpfungs- und Logistikketten, gleichzeitig aber auch Durchgangsland und multimodale Logistik-Drehscheibe für ganz Deutschland. Investitionen in Nordrhein-Westfalen sind der Garant für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland insgesamt.
Eine Strategie für mehr Wachstum in NRW erfordert daher ein gemeinsames Vorgehen von Landes- und Bundespolitik. Die drei Hauptansatzpunkte haben unsere Unternehmen zuletzt in einer breiten Befragung bei den IHKs in NRW benannt.
Das Top-Handlungsfeld ist aus Sicht der NRW-Unternehmen mit Abstand die Bildung und die Fachkräftesicherung. Zwei Drittel der befragten Unternehmen (68 Prozent) setzen darauf, dass die kommende Regierung die Angebote und Strukturen im Bereich Bildung nachhaltig verbessert. Gerade die Frage nach einer verlässlichen Qualität spielt dabei eine große Rolle. Mit Blick auf die Fachkräftesicherung müssen insbesondere die Aktivitäten zur Stärkung der dualen Ausbildung und zur Gewinnung neuer Zielgruppen für das duale System intensiviert werden, um den Bedarf der Unternehmen zu decken. Hierfür wird ein Paradigmenwechsel im Bund und im Land benötigt.
An zweiter Stelle sehen die Unternehmen Handlungsbedarf bei den harten Standortfaktoren, insbesondere bei den wichtigen Infrastrukturen. Angesichts der Staubelastung oder auch unzureichender Breitbandanschlüssen setzt über die Hälfte der befragten NRW-Unternehmen (54 Prozent) auf ein größeres und entschiedeneres Engagement der Politik. Die Sorge um die Funktionsfähigkeit der wichtigen Verkehrsinfrastrukturen von Brücken über Schienen bis zu den Kanälen treibt die Unternehmen in allen Landesteilen gleichermaßen um - in den Metropolen an Rhein und Ruhr genauso auch in den ländlich geprägten Landesteilen.
Vor allem die Unternehmen in den mehr ländlich geprägten Landesteilen und in dezentralen Gewerbegebieten sehen einen dringenden Bedarf nach einem schnelleren Breitband. Für bis zu 40 Prozent der befragten Unternehmen ist in dem Ausbau der Breitbandinfrastruktur eines der Top-Handlungsfelder für die Politik. In den Industrieregionen wächst die Sorge der Unternehmen vor der weiteren Entwicklung in der Energiepolitik. Bei allen Infrastrukturmaßnahmen - Verkehr, Breitband Energie – ist NRW auf das gemeinsame und abgestimmte Vorgehen von Land und Bund angewiesen.
Dies gilt auch für das dritte Handlungsfeld: den wirksamen Abbau der teils überbordenden Bürokratie (52 Prozent). Durch einen Politikwechsel hin zu mehr „Vorfahrt für Unternehmen“ hoffen die Befragten auf sinkende Belastungen durch Gesetz und Verwaltungshandeln. Dabei erwarten die Unternehmen weniger die eine große Maßnahme als vielmehr ein Umdenken bei vielen kleinen Regelungen mit dem Ziel, sowohl bestehenden Betrieben als auch Gründern das Handeln im Land deutlich zu vereinfachen.
Oftmals werden in NRW die bundespolitischen Debatten stellvertretend geführt, ohne dass die spezifische Interessen NRWs Berücksichtigung finden. Als eine Folge werden wichtige Entscheidungen durch zusätzliche Regelungen in NRW verschärft oder die Umsetzung im Bund wird durch die Anforderung in anderen Bundesländern geprägt. In Zukunft sollte darauf geachtet werden, dass bei der Umsetzung in NRW keine zusätzliche Bürokratie und Wettbewerbsnachteile für die ansässigen Unternehmen entstehen.
Für den anstehenden Wandel ist NRW noch immer in einer guten Ausgangsposition. Noch immer ist NRW das wirtschaftsstärkste Bundesland Deutschlands, an Wirtschaftskraft und Größe mit den Niederlanden vergleichbar und an Platz 19 der Industriestaaten weltweit. In NRW wird über ein Fünftel der Wirtschaftsleistung Deutschlands erwirtschaftet. Der Verdichtungsraum an Rhein und Ruhr zählt zu den größten Städteregionen in Europa. Jeder vierte Weltmarktführer Deutschlands hat seinen Sitz in NRW.
Gerade angesichts dieser Stärken braucht NRW nun ein stärkeres Zusammenspiel von Bundes- und Landespolitik getragenen Masterplan für den Wirtschaftsstandort, wie ihn die gesamte NRW-Wirtschaft gefordert hat. Unabhängig davon, wie die kommende Bundesregierung aussehen wird, können die nötigen Weichen nur mit einer entsprechenden bundespolitischen Flankierung gestellt werden, um den Wirtschaftsstandort NRW fit zu machen.
Mit IHK NRW, der Landesarbeitsgemeinschaft der 16 Industrie- und Handelskammern in NRW, werden wir diesen Wandel gerne unterstützen. Als Selbstverwaltungsorganisation der Wirtschaft übernehmen die IHKs in NRW Verantwortung, die Geschicke der Unternehmen in die Hand zu nehmen, Lösungen auf den zu Weg bringen und dabei immer zwischen Einzel- und Standortinteressen zu unterscheiden. Als wichtigen Teil unseres Wirtschaftslebens Wir wollen wir die Selbstverwaltung weiterentwickeln und unseren Beitrag übernehmen, um das Land fit für die Anforderungen der Zukunft zu machen.