Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Der wahre Wert der Arbeit: Gutes Leben, starke Wirtschaft

Von Yasmin Fahimi

Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

“Arbeit ist von zentraler Bedeutung für Zusammenhalt, Sinnstiftung und wirtschaftlichen Erfolg“, betont die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi im NRW-Wirtschaftsblog.

Was macht den Wert von Arbeit in unserer Gesellschaft aus? Diese Frage lässt sich kaum sinnvoll beantworten, ohne eine Verknüpfung zur persönlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sphäre herzustellen. Dies ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der demokratischen Verfassung unseres Landes geboten.

Zunächst ist festzuhalten, dass Arbeit in unserer Gesellschaft alles andere als einen Bedeutungsverlust erfährt, sondern von zentraler Bedeutung für Zusammenhalt, Sinnstiftung und wirtschaftlichen Erfolg ist. Sie integriert Menschen in die Gesellschaft und ist ein Raum für soziale Arbeitsbeziehungen und demokratische Rechte. Nur durch die innovative Arbeit der Beschäftigten erzielen Unternehmen weltweit hohe Gewinne. Im öffentliche Dienst und in der Daseinsvorsorge werden wesentliche Aufgaben des öffentlichen Lebens gesichert und damit auch Stabilität für die Wirtschaft geschaffen. Mit fairen, tarifgebundenen Löhnen erhalten sie idealerweise ihren gerechten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg und haben eine gute Kaufkraft für den Binnenmarkt. Arbeit ermöglicht wirtschaftliche Selbstständigkeit und versetzt Menschen in die Lage, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, das über die bloße Existenzsicherung hinausgeht. 

Ungleiche Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern

Der Blick auf Arbeit wird allerdings erst vollständig, wenn Erwerbsarbeit auch den Teil der unbezahlten Sorgearbeit miteinschließt. Beide sind strukturell aufeinander angewiesen. Der Beitrag der privat organsierten unbezahlten Sorgearbeit bleibt für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems weitgehend unsichtbar. Hier haben wir es jedoch mit einem wachsenden Spannungsverhältnis zu tun. Was das richtige Maß an Arbeit ist und welcher Raum dem Leben zugestanden wird, wird gesellschaftlich wie tarifpolitisch vor allem über die Arbeitszeitgestaltung ausgehandelt.

Genau hier fallen die oben genannten Sphären zusammen und bedingen sich wechselseitig: Sorgearbeit ist zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt. Frauen übernehmen immer noch den größeren Anteil dieser Verpflichtungen, obwohl ihre Erwerbstätigenquote auf mittlerweile 73,6 Prozent gestiegen ist (Männer: 80,8 Prozent). Allerdings beruht diese Entwicklung vor allem auf mehr Teilzeitarbeit. Dabei wissen wir, dass der überwiegende Teil der Frauen gerne mehr Wochenstunden arbeiten würde. Viele Männer hingegen wollen ihre Arbeitszeit reduzieren. Würde es überall eine gute Infrastruktur für Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen geben, wäre eine solidarische, moderne Arbeitszeitgestaltung für alle möglich, die in Summe auch eine Steigerung des Arbeitskräftepotentials bedeuten könnte. 

“Eine dauerhaft erschöpfte Arbeitsgesellschaft können wir uns nicht leisten.”

Leider erfahren aber immer mehr Menschen im Arbeitsleben eine Geringschätzung durch fehlenden Schutz eines Tarifvertrages oder auch Debatten um noch flexiblere und längere Arbeitszeiten. Dabei ist in Deutschland noch nie so viel gearbeitet worden wie heute. Das Arbeitszeitvolumen ist auf einem Allzeithoch: 2023 haben Beschäftigte insgesamt knapp 55 Milliarden Stunden gearbeitet. Hinzu kommen 1,3 Milliarden Überstunden. Und weil die Hälfte davon unbezahlt blieb, wurde der Wert der Arbeit schlicht monetär gedrückt. Bei steigenden Zahlen von erwerbsgeminderten Personen und Langzeiterkrankungen müssen wir darauf fokussieren, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, die ein langes Erwerbsleben überhaupt erst ermöglichen. Eine dauerhaft erschöpfte Arbeitsgesellschaft können wir uns nicht leisten. Statt einem trivialen Ruf nach Mehrarbeit sollten wir die wirklichen Arbeitskräftepotentiale bei Frauen in Teilzeit und jungen Menschen ohne Berufsausbildung heben. 

Es ist geboten, die Rechte der Beschäftigten besser zu schützen und den Zusammenhang zwischen guter Arbeit und Lebensqualität anzuerkennen. Wertvolle Arbeit ist sinnstiftend, selbstbestimmt, fair bezahlt, gesundheitsförderlich und in Summe Ausdruck einer modernen Arbeitsgesellschaft. Dies umfasst nicht nur legitime Bedürfnisse, sondern berücksichtigt auch Grundrechte der Beschäftigten. Positive Zukunftsaussichten, verlässliche Absicherungen gegen Lebensrisiken und Anerkennung als gestaltendes Subjekt, schaffen auch Vertrauen in unsere Demokratie.

In diesem umfassenden Sinne sind Arbeitgeber ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrem verfassungsmäßigen Auftrag verpflichtet, gemeinsam mit uns Gewerkschaften, Tarifverträge abzuschließen und Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für alle zu verbessern.

Über die Autorin
Yasmin Fahimi

Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Zur Autorin