Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Die Freiheit, die wir meinen

Von Carsten Fiedler

Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger

"Was haben wir im Sinn, wenn wir heute von Freiheit sprechen?" Der Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers geht in seinem Blog-Beitrag dieser Frage nach.

Ein erneuerter Liberalismus muss die traditionellen liberalen Werte und Institutionen wie freie Rede oder unabhängige Justiz gegen die Bedrohung durch Populismus und Autoritäre verteidigen.

„Freiheit, die ich meine.“ Als der Lyriker Max von Schenkendorf 1813 sein später zum Volkslied avanciertes Gedicht schrieb, herrschte Krieg in Europa. Es ging darum, die Vormacht Napoleons zu brechen, der seine Herrschaft mit militärischer Gewalt über den halben Kontinent ausgedehnt hatte. 200 Jahre danach ist Europa wieder Schauplatz eines Hegemonialkrieges. Welche Freiheit meinen wir 200 Jahre nach Schenkendorf? Was haben wir im Sinn, wenn wir heute von Freiheit sprechen?

Wir Journalistinnen und Journalisten denken naturgemäß zunächst an die freie Presse, an die ungehinderte Verbreitung von Information und Meinung. Wir leben zum Glück in einem Land, in dem das Grundrecht auf Meinungs- und Redefreiheit nicht nur in der Verfassung steht, sondern auch vom Staat und seinen Institutionen geschätzt und verteidigt wird. Wir sehen aber, wie die Meinungs- und Pressefreiheit andernorts auf der Welt unter Druck geraten ist – selbst in einem der Länder, das von seiner Geschichte und seinem Selbstverständnis so viel auf „freedom“ und „liberty“ hält, den USA. Von den autoritären und diktatorischen Regimen dieser Erde erst gar nicht zu reden. Die Pressefreiheit, das ist eine sehr aktuelle Erfahrung, ist ein höchst fragiles und höchst gefährdetes Gut. Geht sie verloren, verlieren wir alle.

Die Pressefreiheit ist ein höchst fragiles und höchst gefährdetes Gut

Unternehmerinnen und Unternehmer werden beim Wort Freiheit an eine liberale Wirtschaftsordnung denken, an freien Handel und freie Märkte. Entrepreneurship verlangt das freie Spiel der Kräfte, das Konkurrieren um die besten Ideen und Produkte mit der Kraft der Innovation als entscheidendem Treiber. Gewiss, man kann auch mit einer staatlich gelenkten Wirtschaft erfolgreich sein. Das Modell China zeigt das nachdrücklich. Und auch Putins Russland war dank seiner gewaltigen Rohstoff-Ressourcen über Jahre ein potenter Player der Weltökonomie. Man konnte sich in den vergangenen beiden Dekaden des Eindrucks nicht erwehren, dass das autoritäre Modell politischer Herrschaft auf manche Wirtschaftslenker im Westen eine unheimliche Faszination ausübte. Top-Down-Entscheidungen ohne langwierige Debatten mit allen möglichen Bedenkenträgern; ein „Durchregieren“ ohne parlamentarische oder juristische Scharmützel: Bahn frei für unternehmerisches Handeln! Bisweilen klang die Hochachtung aus der Wirtschaft für die „Partner“ in China oder Russland verdächtig nach Demokratieverachtung.

Dabei legen die Machthaber in Moskau und Peking die Kehrseite der autoritären Ordnung doch auf brutalst mögliche Weise offen. In Peking hat Staatschef Xi Jinping seine Alleinherrschaft mit Vollmachten ausstatten lassen, gegen die der absolutistische „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. als kleines Licht dasteht. Und Wladimir Putin bombt Freiheit und Menschenrechte in Grund und Boden. Begriffskosmetik, die eine Diktatur als „Volksdemokratie“ ausgibt wie in China oder den schwarzen Schimmel einer „illiberalen Demokratie“ (Ungarns Viktor Orbán) reitet, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Demokratie ihren Namen nur als freiheitliche, liberale Demokratie verdient.

Angesichts ihrer flagranten Bedrohung von außen wie von innen tut es not, sich neu darüber zu verständigen, was wir mit Freiheit meinen. Eine Engführung auf Wirtschaftsliberalismus und Wachstumskapitalismus oder auch Versuche in der Corona-Debatte, die Freiheit des Individuums gegen eine gesamtgesellschaftliche Solidarität auszuspielen, haben den Begriff der Liberalität in Misskredit gebracht. Gerade Corona hat gezeigt, wie schnell Regierungen, aber auch Regierte bereit sind, Freiheiten zur Disposition zu stellen, um ein Stück – vermeintlicher – Sicherheit zu gewinnen. Eine ehrliche Bilanz der Long-Covid-Schäden für die freiheitliche Demokratie steht noch aus.

Nicht wenig hängt am Innovationsgeist von Unternehmerinnen und Unternehmern

Eine Bedrohung von innen geht auch von den zunehmend unduldsam und aggressiv geführten Debatten über identitätspolitische Fragen aus. Gewiss: Minderheiten, die aus verschiedensten Gründen an ihrer freien Entfaltung gehindert waren und sind, verdienen Aufmerksamkeit und Schutz. Aber der Einsatz für ihre Belange sollte mitnehmend, werbend sein. Stattdessen treibt ein Furor der Freiheit mit moralischen Urteilen über „gute“ und „schlechte“ Gesinnungen einen Keil in die Gesellschaft. Deren Bindekräfte werden so im Namen der Freiheit geschwächt, ihre Fliehkräfte verstärkt.

Timothy Garton Ash fordert deshalb einen „erneuerten Liberalismus“. Er brauche „wie Neptun einen Dreizack“, schreibt der renommierte britische Historiker in dem erhellenden Sammelband „Freiheit neu denken“ (Hrsg. Ralf Fücks). Erstens müsse ein erneuerter Liberalismus die traditionellen liberalen Werte und Institutionen – wie die freie Rede oder die unabhängige Justiz – gegen die Bedrohung durch Populismus und Autoritäre verteidigen. Zweitens müsse er sich mit dem „Versagen“ dessen auseinandersetzen, „was in den letzten 30 Jahren als Liberalismus durchging“. Und drittens müsse ein erneuerter Liberalismus sich „mit den globalen Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel, Pandemien und dem Aufstieg Chinas auseinandersetzen, und zwar mit liberalen Mitteln. Er muss also zurück- und vorwärts-, nach innen und nach außen schauen.“

Garton Ashs Neptun-Programm eines erneuerten Liberalismus ist ambitioniert, aber auch – im besten Sinne – alternativlos, zumindest dann, wenn wir gemeinsam unser Gesellschaftsmodell einer liberalen Demokratie und unseren Planeten für uns selbst und die nachfolgenden Generationen bewahren wollen.

Nicht wenig hängt am Innovationsgeist von Unternehmerinnen und Unternehmern. Was Sie zum Erhalt und zur Weiterentwicklung Ihrer Geschäftsmodelle leisten; was Sie zu einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Volkswirtschaft beitragen; wie Sie schon heute die Zukunft gestalten – und was die Medienbranche dafür tut, davon werden wir Journalistinnen und Journalisten unserem Publikum sehr gern erzählen.

Über den Autor
Carsten Fiedler

Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger

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