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Die Lage im Land ist schlechter als der Ruf von Schwarz-Grün - Ingo Kalischek (Neue Westfälische)

Von Ingo Kalischek

Landeskorrespondent Neue Westfälische

Ingo Kalischek, Landeskorrespondent der „Neuen Westfälischen“, bewertet im Blog die Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung in NRW.

Wer die bisherige Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung in NRW bewerten will, stößt dieser Tage auf zwei bedeutende Daten. Da ist der 6. November, der Tag, an dem die Ampel in Berlin zerbrach - und das ausgerechnet Stunden, nachdem Trump die US-Wahl gewann. Und da ist der 13. November, der Tag, an dem wieder rund 20.000 Menschen vor dem Düsseldorfer Landtag demonstrieren wollen. Was das miteinander zu tun hat? 

Beginnen wir mit dem ersten Datum. Wie heißt es noch? Erst, wenn man das Leid der Anderen sieht, merkt man, wie gut es einem selber geht. Ein bisschen lässt sich das auch auf die NRW-Regierung übertragen. Während die Ampel über Monate stritt, und nun mit gegenseitigen öffentlichen Vorwürfen erlischt, läuft der Regierungsmotor am Rhein angenehm ruhig. Keine Frage: Ein politischer Kindergarten, wie wir ihn mitunter in Berlin erlebt haben, ist bei CDU und Grünen in NRW kaum vorstellbar. Meinungsunterschiede tragen CDU und Grüne intern vertraulich aus – nur wenig dringt nach außen. Das unterscheidet NRW von Berlin – und auch von Sachsen und Thüringen, wo stabile Regierungen aktuell weit entfernt scheinen. Diese politische Stabilität gewähren CDU und Grüne hingegen in NRW. Das ist heute (leider) bereits ein Wert an sich. 

Zahlreiche Branchen in NRW im Dauerkrisenmodus

Kommen wir zum zweiten Datum. Dieser Mittwoch könnte in die Landesgeschichte eingehen. Zum Protestmarsch der Freien Wohlfahrtspflege am 13. November werden 20.000 Menschen vor dem Landtag erwartet. Und? Klingelt’s? Da war doch was: Bereits vor einem Jahr machten Akteure des Sozialwesens in NRW auf ihre Anliegen aufmerksam. Sie kamen aus Kitas, Pflegeheimen, Krankenhäusern und Schulen. Die Polizei sprach damals von 22.000 Teilnehmenden – es war eine der größten Demos der Landesgeschichte. 

Und dann? So wirklich lange hängen blieben die berechtigten Sorgen und Forderungen der Menschen, die sie an das Land richteten, nicht. Sie verpufften regelrecht. Ein bisschen spiegelt auch das die Situation der schwarz-grünen Landesregierung wider: Es herrscht in Teilen durchaus eine Unzufriedenheit im Land. Doch die Probleme und deren Gründe gehen in der öffentlichen Wahrnehmung weniger mit CDU und Grünen nach Hause.

Dabei ist nicht zu leugnen: In NRW befinden sich aktuell zahlreiche Branchen im Dauerkrisenmodus. Das betrifft die Kita-Überlastung, Unterrichtsausfall in den Schulen, überschuldete und ausgelaugte Kommunen, marode Brücken und Straßen, Krankenhäuser und Pflegedienste mit akuten Geldsorgen, eine taumelnde und verunsicherte Wirtschaft - und steigende Kriminalitätszahlen. Kurzum: Die Lage im Land ist schlechter als der Ruf von Schwarz-Grün. 

“Wüst schwebt regelrecht über den Dingen”

Die Menschen gehen für ihre Anliegen auf die Straße. Ihnen unter die Arme zu greifen und Weichen zu stellen, ist die Aufgabe der Politik. Groß-Demos – wie am Mittwoch – zeigen, dass das offenbar nicht ausreichend passiert. Doch auf die politischen Akteure in Düsseldorf zahlt das nicht so wirklich negativ ein. Im Gegenteil: Ministerpräsident Hendrik Wüst schwebt regelrecht über den Dingen, liegt bundesweit in Umfragen auf vorderen Plätzen – und seine CDU in NRW erreicht Rekordwerte. Wie lässt sich das erklären?

Ein Ansatz liegt bei Wüst selber. Der CDU-Mann hat einen feinen politischen Riecher: Wüst nimmt gesellschaftliche Stimmungen verlässlich wahr – und reagiert auf sie. Jüngstes Beispiel: Migration. Gab sich Wüst seit 2022 vor allem als liberaler und moderner Grünen-Versteher, so nötigte er seinem Koalitionspartner am Rhein nach dem Solingen-Attentat in kürzester Zeit ein Sicherheits- und Migrationspaket ab, welches in seiner Härte bundesweit seines Gleichen sucht. Wüst reagierte damit auch auf einen zunehmenden Stimmungswechsel in der Bevölkerung. Für viele Menschen scheint die Migration den Klimaschutz als Top-Thema abgelöst zu haben. Wüst passt sich dem an. Und: Es gelingt ihm noch immer – trotz weichgespülter Inszenierungen in den Sozialen Medien – die Menschen wenig zu nerven – und nicht mit negativen Themen in Verbindung gebracht zu werden. Stattdessen schaffte er es, dass ihn die Medien ein Jahr lang als potenziellen Kanzlerkandidaten der Union handelten. Auch das hat seinen Marktwert gehoben – bundesweit.

Landesthemen – so wirkt es manchmal - überlasst Wüst lieber seinem Kabinett. Populäre Minister wie Karl-Josef Laumann und Herbert Reul halten dem Regierungschef in der ansonsten unbekannten Landesregierung den Rücken frei. Und im Zweifel geht Kritik mit dem Juniorpartner nach Hause. So sind inzwischen sowohl Flucht- und Familienministerin Josefine Paul als auch Justizminister Benjamin Limbach von den Grünen angeschlagen. Verkehrs- und Umweltminister Oliver Krischer scheint es niemanden Recht machen zu können. Und Wirtschafts- und Klimaministerin Mona Neubaur muss eine Wirtschaft bei Laune halten, die zunehmend Abwanderungsgedanken formuliert. Auch das Kernprojekt der Koalition – den Kohle-Ausstieg 2030 – halten die Experten für immer unrealistischer. Derweil stand auch die Opposition mindestens ein Jahr lang nicht wirklich auf dem Platz und arbeitet sich bislang trotz zahlreicher Untersuchungsausschüsse recht erfolglos an Schwarz-Grün ab.

Wie geht es weiter mit dem schwarz-grünen Regierungsmotor?

Es gibt eine weitere Erklärung für die guten Werte und die schlechten Fakten: Und damit wären wir wieder beim 6. November. Die NRW-Regierung kann vieles von dem, was im eigenen Bundesland schlecht läuft, relativ unkompliziert an die Ampel in Berlin durchreichen. Natürlich gibt es viele Schnittmengen und auch Belastungen des Bundes an die Länder. Doch NRW zeigt tatsächlich auffallend schnell und oft mit dem Finger nach Berlin. Im Zweifel ist halt mal wieder die Bundesregierung schuld. Wer will da in diesen Zeiten schon groß widersprechen? Opfer des leidigen Pingpong-Spiels ist meist das unterste Glied in der Kette: die einzelne Kommune.

Und jetzt kommt das Aber: Die Ampel ist Geschichte. Und somit auch eine Erzählung. Wenn Friedrich Merz spätestens im Frühling neuer Kanzler sein sollte, wird es für Wüst und seine NRW-CDU schwieriger, die Schuld mal wieder beim Bundeskanzler und seiner Regierung zu suchen. Da die K-Frage in der Union entschieden ist, dürfte sich das Scheinwerferlicht nun stärker auf Wüsts überschaubare Performance in Düsseldorf richten. Und die angespannte Finanzlage in NRW führt dazu, dass sich vor allem die Grünen von Projekten verabschieden müssen. 

Das alles wird den schwarz-grünen Regierungsmotor am Rhein nicht zum Erliegen bringen. Doch etwas häufiger stottern, zischen und qualmen wird er vermutlich schon. Und das dürften dann auch mehr Bürger mitbekommen.

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