Die Medien spielen eine wichtige Rolle für das Bild, das Menschen von einer Region haben. Das gilt für überregionale wie regionale, für Print- wie Digitalmedien. Welche Aufgaben haben dabei insbesondere Regionalmedien? Fünf Thesen am Beispiel Ruhrgebiet.
These 1: Neue Souveränität im Umgang mit dem Revier
Wir sollten mehr Souveränität an den Tag legen und das Revier als das verstehen, was es ist: Eine spannende Region im Herzen Europas. Mit großen Problemen, aber eben auch mit einem enormen Potenzial. Als Heimat für Menschen mit vielfältigen Hintergründen und Perspektiven. Im Vermitteln dieser Souveränität liegt eine wichtige Aufgabe der Regionalmedien. Sie haben die Möglichkeit und die Verantwortung, hier einen anderen, einen kompetenten Blick auf das Ruhrgebiet zu werfen und eine souveräne Tonlage in die Diskussion zu bringen: Nicht Marketing und PR sind notwendig, sondern journalistische Analysen zu den Herausforderungen und Chancen im Revier. Wichtig ist ein klarer Blick auf das Geleistete und die zukünftigen Aufgaben.
Der journalistische Auftrag ist es, genau hinzusehen und selbstbewusst zu benennen, wo es hakt, was noch zu tun ist – und das ist wahrlich nicht wenig (z.B. das Ruhrgebiet als politische Einheit, die wachsenden demographischen Probleme, die teilweise fehlgeschlagene Integration von Migranten). Auch hier sind Regionalmedien gefordert, einzuordnen und nach objektiven Maßstäben zu bewerten.
These 2: Zukunftsthemen statt Strukturwandel
Das Ruhrgebiet wird in den Medien, auch den Regionalmedien, immer noch eng verknüpft mit dem Begriff "Strukturwandel“. Seit 50 Jahren prägt der Terminus das Image des Reviers.
Richtig ist, dass einzelne Unternehmen und Branchen ihren eigenen Strukturwandel vollzogen haben – auch ohne staatliche Hilfe. Der Seilhersteller beliefert jetzt nicht mehr den Bergbau, sondern den Aufzughersteller; Bergbaumaschinen werden im Tunnelbau eingesetzt.
Richtig ist aber auch, und das ist die zweite These, dass das Thema „Strukturwandel“ insbesondere bei Jüngeren mehr und mehr als selbstmitleidig und rückwärtsgewandt gedeutet wird, sein Erfolg wird zunehmend in Frage gestellt. Im Zusammenhang mit Forderungen nach Subventionen ("Soli für das Ruhrgebiet") ist er besonders belastet und belastend ("Können die irgendwann auch mal auf eigenen Beinen stehen?").
In den Medien sollten wir die Akzente verschieben: Vom historischen Projekt Strukturwandel zur Besinnung auf die Stärken und zu Zukunftsthemen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Rede vom notwendigerweise staatlich subventionierten Wandel tief eingeprägt, er ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Dabei wird häufig übersehen, dass Wandel kein Selbstzweck ist, sondern immer auf ein Ziel zulaufen muss. Und dass er nur gelingen kann, wenn er selbst erarbeitet wird. Spätestens mit der Schließung der letzten Zeche im Jahr 2018 sollten die Ziele des Wandels und damit Zukunftsthemen deutlicher unsere Berichterstattung prägen. Schließlich ist die Entwicklung von industrieller Monokultur zum innovativen Standort weit fortgeschritten: Sind zum Beispiel Duisburg oder Essen nicht inzwischen viel mehr Universitäts- als Industriestädte, von Bochum ganz zu schweigen?
Neue „Köpfe“ (aus Wissenschaft, aus kreativen Metiers, aus technischer Intelligenz) sind längst Bestandteil der Arbeitswelt im Ruhrgebiet. Allerdings leben diese neuen Köpfe hier häufig nicht. Das Ruhrgebiet muss sich zum Standort mausern, in dem sich die neuen „Eliten“ wohlfühlen, in dem sie leben wollen. Noch pendeln viel zu viele dieser „Köpfe“ täglich zwischen Düsseldorf und dem Ruhrgebiet, die A 52 ist der „Brain-Link“.
These 3: Regionalmedien als Gegenstimme
Überregionale Medien zeichnen noch immer gern das Bild einer Montanregion, die den Anschluss an die Moderne versäumt hat: staubig, ein bisschen morbide, häufig durchaus auch romantisierend. Regionalmedien müssen hier ein realistisches Bild vom Ruhrgebiet entgegensetzen: blauer Himmel, moderne Infrastruktur, bedeutendster DAX-30-Standort, lebens- und liebenswerte Region.
Der rückwärtsgewandte Blick vieler überregionaler Medien hat Auswirkungen: Interessante Köpfe meiden das Revier, Ansiedlungen vor allem aus dem Kreativbereich werden erschwert. Und die Ruhrgebietler beginnen selbst daran zu glauben, dass sie abgehängt sind, werden verunsichert oder flüchten sich in Fatalismus („Woanders ist auch scheiße…“). Starke Regionalmedien können hier eine mächtige Gegenstimme bilden und zum Aufbau eines (notwendigen und berechtigten) Selbstbewusstseins beitragen.
These 4: Die Stärke: Das Kleine im Großen
Noch immer transportieren viele Medien, auch Regionalmedien, ein Bild des Ruhrgebiets als eine Ansammlung von Vororten. Was das Ruhrgebiet aber als Lebensraum wirklich auszeichnet und lebenswert macht, wird zu selten in den Blick genommen: Das Kleine im Großen.
Zuhause bin ich in Kettwig oder in Altenessen oder in Wattenscheid oder in Stiepel oder in Sterkrade… Ich lebe und arbeite im Ruhrgebiet, mit allen Vorzügen einer Metropole (der höchsten Dichte an Theatern, Orchestern und Universitäten in Europa, einem Spitzenort für DAX-30-Unternehmen. Und natürlich, nur ganz nebenbei, ist das Revier das Zentrum des deutschen Fußballs, der massiv zur Integration und Identifikation beiträgt…).
Eine gute Regionalzeitung transportiert und bedient genau dieses einzigartige Lebensgefühl: In ihren Lokalteilen spiegelt sie das Leben rund um den Kirchturm wider, im Regionalteil / Mantel die Möglichkeiten der Metropole.
Hier ist das Ruhrgebiet wirklich einzigartig: in der Mischung aus Geborgenheit dörflicher / kleinstädtischer Idylle und der Weite / Freiheit urbaner Vielfalt. Beides zusammen macht das Heimatgefühl des Ruhrgebietes aus, das Regionalmedien einfangen und multiplizieren sollten.
„Das Ruhrgebiet ist das New York Europas“, hat Claus Peymann einmal gesagt, „aber es weiß es noch nicht….“ Eine Regionalzeitung aus dem Ruhrgebiet sollte dem Kleinen = Lokalen größte Aufmerksamkeit schenken – und trotzdem eine überregionale Strahlkraft haben. Als starke Stimme aus dem Ruhrgebiet – für das Ruhrgebiet und in die Republik hinein.
These 5: Regionalmedien tragen zum Selbstverständnis einer Region bei
Regionalmedien tragen entscheidend zur Entstehung eines Selbstverständnisses der Region bei: Sie müssen die neuen Köpfe (technische Intelligenzen, "University People") gewinnen, ohne die alten zu verlieren. Sie sollten junge Menschen genauso wie die älteren binden. Das ist ein Spagat, den eine Regionalzeitung wie die WAZ jeden Tag aufs Neue meistern muss. Sie muss selbst Ausdruck des neuen Ruhrgebiets sein. Die große Vielfalt der Region und der hier lebenden Menschen stellt große Anforderungen an die Berichterstattung. Man muss versuchen, der Region durch größte Lebendigkeit der Inhalte in den überregionalen und vor allem regionalen und lokalen Teilen gerecht zu werden. Eine erfolgreiche Regionalzeitung muss genauso bunt sein wie ihre Leser…
Deshalb muss sie sich auch immer weiter ausdifferenzieren: in Print (für die erfahrenen Leser), Digital (eher für die Jüngeren) und einer intelligenten Verzahnung beider Kanäle. Voraussetzung dafür ist die Nähe zu den Menschen, der Respekt vor den Menschen, der Austausch auf Augenhöhe. Dies ist die Grundlage für eine hervorragende Berichterstattung.
Das Bild des Ruhrgebietes entsteht durch Abbildung und mediale Konstruktion: Die Verantwortung der regionalen Tageszeitung ist dabei groß.