Seit dem Beginn der Invasion in die Ukraine hat sich in der deutschen Politik vieles verändert. Alte Gewissheiten werden hinterfragt, Projekte umgestaltet und Zeitpläne neu justiert. Die Bundesregierung hat schnell und entschlossen auf die tektonischen Veränderungen reagiert, die der Krieg mit sich bringt. Das war gut und richtig.
Drei Dinge dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren.
Erstens dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, Herausforderungen wie den Klimawandel anzugehen. Die Dekarbonisierung bleibt richtig – und hat unter den neuen, schwierigeren energiepolitischen Bedingungen auch geostrategisch höchste Relevanz für Politik und Wirtschaft.
Das Gleiche gilt zweitens für ein weiteres Politikfeld, auf dem der Krieg vieles verändert: die Ernährungspolitik. Denn zusammen machen Russland und die Ukraine beispielsweise 28 Prozent der weltweiten Weizenexporte aus. Deshalb droht infolge des Krieges eine Ernährungskrise – weit über die Ukraine hinaus. Das führt uns einmal mehr vor Augen, wie fragil unsere Ernährungssysteme sind.
Drittens bleibt die Gesundheitspolitik ein wichtiges Thema. Die Corona-Pandemie mag die Nachrichten nicht mehr dominieren, aber sie ist noch nicht vorbei. Und nach wie vor gilt, dass es für etwa zwei Drittel der rund 30.000 bekannten Krankheiten keine wirklich angemessene Therapie gibt.
Wissenschaftlichen Fortschritt und neue Technologien vorantreiben
Klimawandel, Ernährungssicherheit, Gesundheit – all diesen Herausforderungen ist eines gemeinsam: Wir können sie nur bewältigen, wenn wir wissenschaftlichen Fortschritt und neue Technologien vorantreiben. Kurz und knapp: Wir brauchen Innovationen.
Und hier kommt Nordrhein-Westfalen ins Spiel. Wenn am 15. Mai der neue Landtag gewählt wird, sollte die Stärkung der Innovationskraft des Landes eines der herausragenden Themen sein. Denn NRW hat vieles von dem, was es braucht, um zur Bewältigung wichtiger Herausforderungen beizutragen.
Beispiel Biotechnologie: Hier schaffen atemberaubende Fortschritte in der Zellbiologie und bei der Genom-Editierung ungeahnte neue Möglichkeiten. Welche Chancen diese Biorevolution bietet, haben wir im Kampf gegen die Pandemie gesehen, als in Rekordzeit Impfstoffe gegen das Corona-Virus entwickelt werden konnten.
NRW ist als Biotechnologie-Standort hervorragend dafür positioniert, hier eine bedeutende Rolle zu spielen. Beispielsweise ist das Land mit Münster, Bonn und Köln als wichtigsten Zentren seit langem bundesweit führend bei der Stammzellforschung, die große Hoffnungen auf neue Behandlungen für bisher nicht therapierbare Krankheiten macht. Und die Pflanzen-Biotechnologie wurde sogar in NRW erfunden – am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln.
Auch Bayer ist bei der Biorevolution ganz vorne dabei. In der Medizin forschen wir etwa an der gezielten Veränderung einzelner Gene, die für Krankheiten wie Parkinson verantwortlich sind. In der Landwirtschaft können wir Pflanzen in die Lage versetzen, extremen Wetterbedingungen besser standzuhalten, und wir arbeiten beispielsweise an Pflanzen, die ihren Stickstoffbedarf selbstständig decken können.
Ausgerechnet bei der Pflanzenbiotechnologie kann von Entfesselung keine Rede sein
Und doch ist gerade die Biotechnologie auch ein Beispiel dafür, dass NRW nicht das Beste aus seinen Möglichkeiten macht. Zwar ist in den vergangenen Jahren einiges passiert, die Rahmenbedingungen für Innovation wurden verbessert. Dazu haben etwa die Entfesselungspakete der Landesregierung beigetragen, die bürokratische Hemmnisse abbauen sollen.
Aber ausgerechnet im Bereich der Pflanzenbiotechnologie, deren Wiege in NRW steht, kann von Entfesselung keine Rede sein. Die Gründe dafür liegen in Brüssel und Luxemburg. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die bahnbrechende Technologie der Genom-Editierung 2018 pauschal als Gentechnik bewertet. Damit wird auch die Genom-Editierung in Europa so streng reguliert, dass ihre Anwendung hierzulande de facto verhindert wird. Forscher gehen frustriert ins Ausland, Start-ups entstehen anderswo, die Innovationskultur bröckelt. Wir brauchen daher eine Gesetzgebung für die Genom-Editierung bei Pflanzen, die dieser Technologie nicht länger Steine in den Weg legt.
Ein weiterer Grund, warum NRW seine Möglichkeiten nicht immer voll ausschöpft, ist die Finanzierung innovativer Unternehmen. Auch das ist ein gesamtdeutsches – und auch ein europäisches – Problem. Schauen wir noch einmal auf die Biotechnologie. Obwohl die Branche in Deutschland im Jahr 2020 die Rekordsumme von über 3 Milliarden Euro mobilisieren konnte, hinkt die Finanzierung weit hinter den USA hinterher – dort waren es rund 100 Milliarden Dollar! Es muss also darum gehen, starke europäische Biotech-Standorte – und gerade auch NRW – attraktiver für Risikokapital zu machen.
Ein starker Innovationsstandort braucht hervorragende Schulen und Universitäten
Ein dritter Punkt ist noch wichtig – und hier liegt die Gestaltungshoheit ganz bei NRW: Wenn das Land langfristig ein starker Innovationsstandort bleiben will, muss Bildung auf der politischen Prioritätenliste weiter nach oben rücken. Wer als Innovationsstandort spitze sein will, braucht hervorragende Schulen und Universitäten. NRW landete aber bei der vom Institut der deutschen Wirtschaft erstellten Vergleichsstudie unter den 16 Bundesländern nur auf Rang zwölf. Und beim internationalen „Times Higher Education“-Universitätsranking war die RWTH Aachen von allen NRW-Universitäten noch die beste – auf Platz 107.
Wie kann es sein, dass altehrwürdige Institutionen wie die Universität zu Köln oder die Universität Bonn, die zahlreiche Nobelpreisträger hervorgebracht haben, in solchen Rankings regelmäßig unter „ferner liefen“ abschneiden? Eigentlich sollten sie einen Platz unter den Top Ten anstreben.
Es gibt also Handlungsbedarf. Dennoch: NRW ist ein Standort mit viel Zukunft, zu dem sich Bayer klar bekennt. So haben Vorstand und Arbeitnehmervertretung von Bayer kürzlich gemeinsam das „Zukunftskonzept Deutschland“ beschlossen. Es beinhaltet Investitionen in die Einrichtung von Kompetenzzentren für innovative Forschungsmethoden und digitale Technologien, die Modernisierung von Produktionsanlagen und eine intensivere Vernetzung mit Hochschulen und Start-ups – unter anderem an den NRW-Standorten Leverkusen, Monheim, Dormagen, Wuppertal, Knapsack und Bergkamen. Das zeigt: Bayer glaubt an den Standort – und schafft eine Perspektive für die rund 15.000 Beschäftigten in NRW!