Der NRW-Wirt­schafts­blog
Klartext
im Westen

Die Wirt­schaft nicht komplett abwürgen!

Der Präsident von unternehmer nrw, Arndt G. Kirchhoff schreibt über die aktuellen Auswirkungen von Corona auf die NRW-Wirtschaft.

Von Arndt G. Kirchhoff

Präsident von unter­nehmer nrw und CEO der KIRCHHOFF Holding GmbH und Co.KG

Die wirt­schaft­li­chen Schäden nehmen mit jeder Woche im Lockdown weiter dramatisch zu. Tatsache ist, dass gerade tausende von Betrieben gemeinsam mit ihren Beschäftigten um ihr wirt­schaft­li­ches Überleben kämpfen. Viele direkt oder indirekt vom Lockdown betroffene Betriebe wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Das Eigenkapital ist häufig nahezu aufgebraucht. Die Verzweiflung ist groß. Und die Auszahlung der zugesagten Finanzhilfen dauert viel zu lange. Viele stehen vor dem Aus.

Die Hoffnung, der zweite Lockdown würde wirtschaftlich relativ glimpflich ausgehen, droht sich zunehmend als trügerisch zu erweisen. Die Geschäfts­er­war­tungen der Unternehmen und auch die Verbrau­cher­stim­mung haben sich zuletzt massiv eingetrübt.

Und nach den schmerzhaften Einschlägen bei Dienst­leis­tungen, Handel und Handwerk müssen wir dringend aufpassen, dass nicht auch noch die Industrie erneut heftiger getroffen wird. Denn was nicht in Geschäften verkauft werden kann, wird in den Fabriken nicht nachproduziert. Auch müssen bereits für die Innovations- und Wett­be­werbs­fä­hig­keit wichtige Investitionen verschoben oder ganz abgesagt werden. Ich warne dringend davor, jetzt auch noch durch Grenz­schlie­ßungen Lieferketten zu unterbrechen oder gar durch angeordnete Betriebs­schlie­ßungen die Industrie komplett lahmzulegen. Die Konsequenzen für Arbeitsplätze, Sozialsysteme und Staats­haus­halte wären unabsehbar. Wir dürfen unsere Wirtschaft auf keinen Fall komplett abwürgen.

Unsere Unternehmen setzen seit Monaten mit hohem Aufwand umfassende Hygie­nekon­zepte penibel um. Das hat dazu geführt, dass sich unsere Betriebe gerade nicht als Hotspots für Ansteckungen erwiesen haben. Und gerade beim Thema mobiles Arbeiten hat die Wirtschaft sehr schnell gehandelt und ist hier schon lange viel weiter als große Teile der öffentlichen Verwaltung. Dennoch sind es die Unternehmen, die jetzt mit einem bürokratischen Monstrum aus Abwägungs-, Dokumentations- und Nach­weis­pflichten überzogen werden.

Ich unterstütze die Politik ausdrücklich in dem Ziel, eine Überlastung des Gesund­heits­sys­tems zu verhindern. Aber monatelange Schließungen von Kitas und Schulen sowie wichtigen Teilen der Wirtschaft wird unsere Gesellschaft aber weder wirtschaftlich und sozi­al­po­li­tisch noch bildungs­po­li­tisch verkraften.

“Corona wird unser Miteinander noch eine ganze Weile diktieren. Solange muss uns möglichst beides gelingen: Ansteckungen zu vermeiden und wieder so viel wirt­schaft­liche Normalität wie möglich zu erreichen.“

Um es noch einmal klar zu sagen: Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen weiß um die enorme Heraus­for­de­rung für die Politik, wirksame Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie treffen zu müssen. Wir alle setzen nun große Zuversicht auf die Impfung und die damit verbundene Rückkehr zu einem normalen Leben. Es ist jedoch eine Mammutaufgabe, ein ganzes Volk durchzuimpfen. Wir müssen nun nach vorne schauen. Nach dem holprigen Start müssen Politik und Verwaltung die Impfstoff-Beschaffung und den Impf-Prozess nun umso sorgfältiger und stringenter managen.

Es wird in jedem Fall bis weit in den Sommer hinein dauern, bis endlich genügend Menschen geimpft sein werden. Ich kann deshalb absolut nicht nachvollziehen, warum die digitalen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Pandemie nicht endlich viel entschlossener genutzt werden. Dass die Gesund­heits­ämter auch rund ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie immer noch nicht flächendeckend digitalisiert und vernetzt sind, ist bitterer Ausweis des aktuellen Standes der Digi­ta­li­sie­rung im Öffentlichen Sektor. Und die Ergänzung der Corona-App im Dezember um ein händisches Tagebuch ohne digitale Schnittstelle zu den Gesund­heits­äm­tern war nahezu grotesk. Ich bleibe dabei: In dieser außer­ge­wöhn­li­chen Lage den Datenschutz so einseitig vor den Gesund­heits­schutz zu stellen, halte ich für einen schweren Fehler.

Dringend brauchen wir in jedem Fall eine QR-Tracing-App, mit der man den Zugang etwa zu belebten Orten, Geschäften oder Gastronomie begrenzen und gleichzeitig auch Infek­ti­ons­ketten digital nachverfolgen kann. Das ist auch wichtig, damit nach erfolgten Lockerungen nicht unmittelbar die Zahlen wieder in die Höhe schnellen.

Wir alle brauchen dringend Perspektiven. Es ist gut, dass die Politik nun endlich eine Exit-Strategie erarbeiten will. Sie muss dabei besonders intensiv die Kriterien für Lockerungen überprüfen. Immer wieder wird von weiten Teilen der Politik die 7-Tage-Inzidenz von 50 zur Bedingung gemacht. Wenn aber große Teile der besonderen Risikogruppen geimpft sind, wird das Gesund­heits­system eindeutig entlastet. Und wenn mit analogen Möglichkeiten beim Wert 50 eine Nach­ver­folg­bar­keit der Infek­ti­ons­ketten sichergestellt werden kann, dann muss dies doch mit digitalen Instrumenten auch bei einem höheren Wert umsetzbar sein.

Corona wird unser Miteinander noch eine ganze Weile diktieren. Solange muss uns möglichst beides gelingen: Ansteckungen zu vermeiden und wieder so viel wirt­schaft­liche Normalität wie möglich zu erreichen.