Der NRW-Wirt­schafts­blog
Klartext
im Westen

Die Zukunft Europas mensch­lich gestalten

Von Prof. Dr.  Holger  Burckhart

Rektor der Universität Siegen

Prof. Dr. Holger Burckhart schreibt über die Zukunft Europas und die Entwicklung ihrer Hoch­schul­land­schaft.

Vor zwanzig Jahren wurden im italienischen Bologna die Weichen für die Errichtung eines Europäischen Hochschulraums gestellt. Die Hoch­schul­sys­teme der europäischen Länder wurden einander angenähert und aufeinander abgestimmt mit dem Ziel, die Anerkennung von Abschlüssen zu erleichtern und die Mobilität aller Hoch­schul­an­ge­hö­rigen zu fördern. Dieser Prozess, der aktuell als „Bologna 2020“ fortgeführt wird, hat im Hinblick auf den europäischen Gedanken eine enorme Strahlkraft entwickelt: Studierende und Wissen­schaft­le­rInnen lernen und forschen grenz­über­schrei­tend und leben so die europäische Vereinigung vor.

Bürgerinnen und Bürger stehen in der Europäischen Union einer Vielzahl von Gesetzen, Regularien und Verwal­tungs­struk­turen gegenüber, die notwendig sind – jedoch möglicherweise manchmal den Blick auf das Wesentliche verstellen: Im Mittelpunkt stehen die Menschen. Es ist ihre Aufgabe und ihre Chance, die Zukunft Europas gemeinsam zu gestalten. Durch Bildung und den Transfer von Wissen in die Gesellschaft hinein schaffen auch die Hochschulen die Voraus­set­zungen dafür. Sie ermöglichen grenz­über­schrei­tendes und inter­dis­zi­pli­näres Studieren, Lehren und Forschen und werden so zu Wissens­ver­mitt­lern, Impulsgebern und zum Motor der Innovation – und dies im Geiste praktischer Kooperation im inter­na­tio­nalen Raum. Damit tragen Hochschulen zu einer  dynamischen, europäischen Bürger- und Wissens­ge­sell­schaft bei. Bei der Wahl des Europäischen Parlaments im kommenden Mai sind die Bürgerinnen und Bürger gefragt: Es geht darum, das Europa von morgen zu fordern und zu fördern.

Angesichts aktueller und zukünftiger Heraus­for­de­rungen wie dem Einwan­de­rungs­druck, der andauernden Wirtschafts- und Strukturkrise in Teilen der EU, der Digi­ta­li­sie­rung oder steigenden Umwelt-, Technik- und Sicher­heits­ri­siken gilt es, eine lebenswerte Zukunft in Europa zu ermöglichen. Es geht darum, die Zukunft Europas menschlich zu gestalten. Die Hochschulen können dazu einiges beitragen: Auf der Basis von grundlagen- und anwen­dungs­ori­en­tierter Forschung, die sich an den Problemen und Frage­stel­lungen der Gesellschaft orientiert, liefern sie wichtige Erkenntnisse und Lösungsansätze.

Die Hochschulen brauchen ein starkes Europa – und Europa braucht starke Hochschulen.

Die Bedeutung dieser Forschung lässt sich an Fragen ablesen, die unsere Generation derzeit beschäftigen. Wie verändert sich unser zukünftiges Zusammenleben angesichts des demografischen Wandels? Wie können Unternehmen die Heraus­for­de­rungen der Digi­ta­li­sie­rung bewältigen? Wie kann eine medizinische Hochleistungs-Versorgung auf dem Land unter den Vorzeichen von Demografie und Digi­ta­li­sie­rung ermöglicht werden? Letzteres – die digital unterstützte Versorgung ländlicher Räume – erforscht die Universität Siegen in einem gemeinsamen Modellversuch mit der Universität Bonn und dem Erasmus Medical Center Rotterdam (EMC), das in diesem Bereich bereits innovative Ansätze verfolgt. Ein Beispiel dafür, wie gewinnbringend gerade auch grenz­über­schrei­tende Kooperationen sein können.

Als bevöl­ke­rungs­reichstes Bundesland mit einer vielfältigen Hoch­schul­land­schaft aus 70 Hochschulen verfügt Nordrhein-Westfalen über viel Inno­va­ti­ons­kraft und großes wissen­schaft­li­ches Potenzial. Um es optimal für die Zukunft Europas ausschöpfen zu können, sind die Hochschulen – nicht nur in NRW – auf ein starkes, vereintes Europa angewiesen. Europäische Förder­pro­gramme wie das Rahmenprogramm Horizont 2020 machen Koope­ra­ti­ons­pro­jekte erst möglich. Austausch­pro­gramme wie Erasmus+ steigern die Attraktivität der EU als Studien- und Wissen­schafts­standort und stärken die inter­na­tio­nalen Kompetenzen von Studierenden. In den kommenden Jahren gilt es, die Vielfalt europäischer Forschung und Lehre noch stärker gewinnbringend zu bündeln: beispielsweise durch die neue Förderlinie „Europäische Hochschulen“ im Erasmus+ Nach­fol­ge­pro­gramm ab 2021, das es europäischen Hochschulen ermöglicht, sich zu Hoch­schul­al­li­anzen zusam­men­zu­schließen, um ihre Leistungs- und Wett­be­werbs­fä­hig­keit noch weiter zu steigern.

Die Hochschulen brauchen ein starkes Europa – und Europa braucht starke Hochschulen, die sich grenzen- und diszi­pli­nen­über­grei­fend den drängenden Zukunftsfragen widmen. Denn nur gemeinsam kann es gelingen, die Zukunft Europas menschlich zu gestalten.

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