Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Dringlichste Aufgabe ist jetzt die Integration aller potenziellen Arbeitskräfte

Von Sven  Kramer

Stellv. Bundesvorsitzender des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und Geschäftsführer der PEAG Holding GmbH

Um der Herausforderung Fachkräftemangel entgegenzutreten, nennt Sven Kramer, Geschäftsführer der PEAG Holding GmbH, im Blog wesentliche Maßnahmen.

Wir kennen die Grafik des demographischen Übergangs aus dem Schulunterricht. Eine anfangs spitze Pyramide der Bevölkerungszahl mit breiter Basis wird unten plötzlich schlanker. Zu meiner Schulzeit war dieses Signal für sinkende Geburtenraten noch Utopie. Jetzt erwischt es auch uns, trotz deutlicher Warnungen etwa vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung: Nur mit einer jährlichen Nettozuwanderung von 400.000 Personen nach Deutschland bleibe das Arbeitskräfteangebot bis 2060 nahezu konstant. 

Getrieben vom Fachkräftemangel – besser Arbeitskräftemangel – suchen jetzt alle nach Lösungen. Jede konstruktive Idee zählt, Populismus hingegen sollten wir mit klarer Haltung entgegentreten. Der schadet am Ende unserer Wirtschaft. Wenn eine Partei, die sich „Alternative“ nennt, Zuwanderung verhindern will, gegen die EU wettert und als Lösung für den Fachkräftemangel das Kindermachen vorschlägt, dann ist sie an der Wahlurne keine Alternative.

Willkommenskultur leben

Stattdessen sollten wir qualifizierte Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern und den Menschen signalisieren, dass sie bei uns dauerhaft erwünscht sind. Angesichts vieler Berichte über Zugewanderte, die trotz festem Job wieder gehen, müssen wir mit vereinten Kräften Willkommenskultur leben. Zeitarbeits-Unternehmen leisten hier einen guten Job. Nirgendwo werden so viele Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt und in die Gesellschaft integriert.

Doch leider behindert unsere Bürokratie weiterhin schnelle Einstellungsprozesse. Laut Bundesagentur für Arbeit braucht es bis zu drei Jahre vom Entschluss einer Person zur Auswanderung bis zur Jobaufnahme in Deutschland. Der größte Teil der Fachkräfte, die kommen wollen, bricht das Vorhaben laut OECD in dieser Zeit ab. Wir müssen also überflüssige Bürokratie abschaffen, Anerkennungsverfahren vereinfachen, Prozesse digitalisieren und Behörden personell besser ausstatten – und das noch bestehende Verbot beenden, Arbeitskräfte aus dem nicht-europäischen Ausland für die Arbeitnehmerüberlassung anzuwerben. Hoffnung macht hingegen die jüngste Debatte über schwer nachvollziehbare Arbeitsverbote für Menschen, die in Deutschland Asyl suchen.

Alle Gruppen integrieren

Integrieren müssen wir aber auch die gesellschaftlichen Gruppen, die immer noch – aus welchem Grund auch immer – am Rande stehen und uns als Erwerbspersonen schmerzhaft fehlen: Junge, Ältere, Frauen, Alleinerziehende oder Langzeitarbeitslose. So berichten Experten, dass für junge Menschen mit Hauptschulabschluss fast zwei Drittel der Ausbildungsplätze nicht erreichbar sind. Jeder fünfte junge Erwachsene hat deshalb keine berufliche Qualifikation. Wir müssen also das Nachholen von Berufsabschlüssen fördern und längere und auch modular aufgebaute Ausbildungszeiten ermöglichen. Und wenn der Nachwuchs keinen Lebenslauf auf die Reihe kriegt, sollten wir neue Wege gehen, um versteckte Talente bei jungen Menschen zu entdecken.

Frauen gewinnen

Wir müssen auch mehr Frauen für eine Teilnahme am Berufsleben gewinnen. Knapp fünf Millionen nehmen nicht am Erwerbsleben teil, 50 Prozent der berufstätigen Frauen arbeiten zudem in Teilzeit, bei Müttern sind es 69 Prozent. Dafür gibt es strukturelle Gründe, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren. Was wir brauchen, sind moderne Rollenbilder, flächendeckende Kinderbetreuung und die Abschaffung steuerlicher Fehlanreize.

Langzeitarbeitslose qualifizieren

Fast 300.000 Menschen sind aktuell in NRW langzeitarbeitslos. Sie in irgendeinen Aushilfsjob zu vermitteln, ist selten der beste Weg. Sinnvoller wäre es, sie für bessere Arbeitsplätze zu qualifizieren. Das Bürgergeld soll ja ermutigen, sich weiter zu qualifizieren, einen Schulabschluss nachzuholen oder eine Ausbildung zu machen. Damit setzt die Reform den richtigen Schwerpunkt.

Es kommt aber jetzt darauf an, was die Jobcenter daraus machen, ob sie so zusätzliche Arbeitskräfte aktivieren. Ein achtstündiger Frontalunterricht ist hier sicher nicht die beste Lösung. Viel erfolgsversprechender sind berufsbegleitende, modulare Weiterbildungen und Qualifizierungen. Die Wirtschaft in NRW bietet schon heute in größerem Umfang Praktika und Arbeitsplätze an, mit deren Hilfe solche Konzepte umgesetzt werden können – das sollte weiter ausgebaut werden.

Und die Unternehmen müssen laufend qualifizieren. Dafür ist die Nationale Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung eine gute Grundlage, die Wirtschaft sollte sie als Chance sehen. Experten mahnen zudem immer wieder eine flexiblere Qualifizierung an, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Wir sollten also pro-aktiver und kontinuierlicher qualifizieren und nicht erst dann, wenn sich Defizite zeigen.

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Sven Kramer

Stellv. Bundesvorsitzender des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und Geschäftsführer der PEAG Holding GmbH

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