Beruf Koch: „Oft am Mindestlohn?“ fragte neulich eine große Zeitung aus dem Ruhrgebiet, nachdem die Gewerkschaft NGG den „Küchen-Alarm“ ausgerufen hatte. Begründet wurden die offenen Stellen in Restaurants und Gaststätten damit, dass „Köche ziemlich oft nah an der Mindestlohnkante von 12 Euro pro Stunde entlangschrammen.“ Um eine Einschätzung gebeten konnte sich mein Kollege Marc Weber, DEHOGA-Kreisvorsitzender in Duisburg, nur wundern. „Wenn ich einem Bewerber den Mindestlohn anbiete, lacht der mich aus! Die Tarife sind die Richtlinie, darunter liegen wir nicht.“ Und die Tarife für einen Koch liegen natürlich deutlich darüber. Diese Antwort hätte auch von mir stammen können, weil sie die Realität abbildet, wie wir sie momentan in unseren Betrieben erleben. Wir handeln in einem Arbeitnehmermarkt, in dem gerade Fachkräfte ihre Vorstellungen besser durchsetzen können als je zuvor. Wer heute als ausgebildeter Koch für den Mindestlohn arbeitet, macht etwas grundlegend falsch.
Fakt ist doch Folgendes: Der Fach- und Arbeitskräftemangel stellt neben der akuten Kostendynamik mit all ihren Konsequenzen und den Transformationsnotwendigkeiten, mit denen wir in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung konfrontiert sind, die größte Herausforderung dar und das auf absehbare Zeit. Auch wenn das Gastgewerbe zwischen Aachen und Porta Westfalica in den zehn Jahren vor Corona rund 100.000 neue Jobs geschaffen hat, blieben bereits 2019 viele Stellen unbesetzt. In der dunkelsten Coronazeit wurden dann aus über 400.000 Arbeitsplätzen weniger als 320.000. Auch die Ausbildungszahlen brachen ein. Mittlerweile sind wir bei den Beschäftigtenzahlen – glücklicherweise – wieder bei den Vor-Corona-Zahlen angelangt. Allerdings ist während der Pandemie viel Knowhow – Stichwort: Brain-Drain – verloren gegangen, das jetzt bei unseren neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor allen Dingen den ungelernten, erst aufgebaut werden muss. Der Arbeitskräftemangel hat die ganze Branche erfasst und ist wie in vielen anderen Branchen auch zum strukturellen Problem geworden. Die eine „Königsmaßnahme“ wird es nicht geben, nur ein Maßnahmenbündel wird das Problem, zumindest teilweise, lösen können.
Attraktivität steigern
Zuerst muss es uns natürlich gelingen, wieder mehr Auszubildende für unsere Branche zu gewinnen – trotz weniger werdenden Schulabgängern und einer zunehmenden Akademisierung. Mit deutlich gestiegenen Ausbildungsvergütungen und einer zeitgemäßen Ausbildungsordnung haben wir bereits wichtige Schritte unternommen.
Bei absehbar steigenden Lohnkosten – diese sind im letzten Jahr nach eigenen Erhebungen bei uns um über 20 Prozent im Schnitt gestiegen – und gleichzeitiger Preissensibilität der Gäste sowie einem branchenübergreifenden, intensiver werdenden Wettbewerb um Auszubildende und Beschäftigte wird sich jeder Unternehmer im Gastgewerbe bei seiner Personalplanung aber dann noch mehr die Frage stellen:
- Welche Einsparmöglichkeiten bieten schlankere Prozesse?
- Inwiefern können mir neue Konzepte helfen oder die digitale Transformation?
- Was machen meine Gäste mit?
- Wie viele Beschäftigte brauche ich tatsächlich?
- Wie viel Beschäftigung kann ich mir vor dem oben beschriebenen Hintergrund und einer möglichen Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen auf wieder 19 Prozent überhaupt leisten können?
Diese Fragen führen erst einmal zu ganz unterschiedlichen, individuellen Antworten in den Unternehmen: Verzicht auf den Mittagstisch, angepasste Speisekarten, veränderte Öffnungszeiten, mehr Ruhetage, digitales Einchecken im Hotel oder der Einsatz von Servicerobotern. Im schlimmsten Fall kann der Mangel an Beschäftigten aber auch zur Betriebsschließung führen. Ich stand konkret vor der Frage, ob ich in meinem Hotel-Restaurant das Restaurant würde weiterführen können. Zwei Köche hatten während Corona gekündigt, Ersatz konnte ich nicht finden. Im Ergebnis führe ich heute ein Hotel-Garni, es gibt also grundsätzlich nur noch Frühstück für die Hausgäste. Wirtschaftlich war und ist das sinnvoll, als Gastronom und Gastgeber blutet mir das Herz.
Trotz aller Einsparmaßnahmen werden und wollen wir eine personalintensive Branche bleiben. Deshalb rücken bei einem Arbeitnehmermarkt, wie wir ihn gerade vorfinden, „attraktive Gesamtpakete“ für die Beschäftigten und die, die es werden sollen, zunehmend in den Mittelpunkt: eine faire Bezahlung und entsprechende Ausbildungsvergütungen sind selbstverständlich und gehören ebenso dazu wie Gratifikationen, Incentives im Bereich betrieblicher Alters- und Krankenvorsorge sowie attraktive Arbeitsbedingungen, vor allen Dingen in den Bereichen Planbarkeit von Arbeitszeiten und Arbeitszeitgestaltung an sich. Die Vier-Tage-Woche ist hierbei ein mittlerweile oft gehörtes Stichwort, auch im Gastgewerbe. Mehr Ruhetage und kürzere Öffnungszeiten können ein zweischneidiges Schwert sein: Entspannung der Arbeitszeiten versus Gästezufriedenheit. Spannend sind technische Weiterentwicklungen und Verfahren beispielsweise an der Rezeption, um Check-in-Prozesse zu vereinfachen und damit auch die Zuständigen zu entlasten oder in der Küche, um eine Verschlankung der eigentlichen Produktion zu ermöglichen und von der „Präsentation am Gast“ zeitlich zu entkoppeln. Ergebnis: Reduzierung des Arbeitspensums insgesamt und weniger Personaleinsatz am Abend oder am Wochenende.
Nach links und rechts schauen und auch ins Ausland: Je breiter, desto besser
Alle betrieblichen Maßnahmen, mit denen man mehr oder weniger erfolgreich am Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt operiert, lösen allerdings ein grundsätzliches Problem nicht, mit dem wir als Volkswirtschaft insgesamt konfrontiert sind: Es gibt weniger Schulabgängerinnen und Schulabgänger und damit auch weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das führt dazu, dass diejenigen, die beispielsweise im Gastgewerbe ausgebildet werden oder arbeiten, der Industrie fehlen, dem Handwerk, den Schulen, in der Pflege oder umgekehrt. Das heißt, wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass sich die Zahl an Arbeits- und Fachkräften insgesamt erhöht.
- In diesem Zusammenhang muss es uns in Nordrhein-Westfalen endlich gelingen, dass erheblich weniger Schülerinnen und Schüler ohne (Hauptschul-)Abschluss – 2022 waren es 6,4 Prozent – die Schule verlassen. Wir brauchen ausbildungsfähige junge Menschen, ein Schulabschluss ist dabei eine der Kernvoraussetzungen. Genauso wichtig ist in diesem Zusammenhang, diejenigen, die sich in schulischen Übergangssystemen befinden, ausbildungsbefähigt so schnell als möglich in Ausbildung zu bringen. Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung wirkt es fast zynisch, dass tausende dieser jungen Menschen jährlich durch´s Raster fallen.
- Gleiches gilt für potenzielle Beschäftigte wie Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit Beeinträchtigungen, Rentnerinnen und Rentner, die sich überhaupt, immer noch oder wieder ins Arbeitsleben einbringen möchten oder auch Geflüchtete. Wer (mehr) arbeiten will, soll es tun können und zwar niederschwellig, unbürokratisch und mit der passenden staatlichen Unterstützung, wenn notwendig. Und für jeden, der arbeiten kann, muss es attraktiver sein zu arbeiten, als es nicht zu tun und staatlich alimentiert zu werden.
- Apropos notwendig: Menschen, die bereits in Deutschland sind, für den Arbeitsmarkt zu mobilisieren, wird nicht ausreichen, die bereits entstandenen und noch entstehenden Lücken zu schließen – wir brauchen eine signifikant steigende Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Dazu gehen die jetzt getroffenen gesetzlichen Regelungen der Ampel in die richtige Richtung, allerdings müssen gleichzeitig die bürokratischen Hemmnisse, die Zeit, Geld, Ressourcen und Nerven kosten, reduziert werden. In diesem Zusammenhang bereitet mir eine Entwicklung, wie ich sie gesamtgesellschaftlich wahrnehme, allerdings Kummer: Die besten Zuwanderungsgesetze und die „schmalste“ Bürokratie helfen wenig, wenn wir nicht gleichzeitig gemeinsam eine Willkommenskultur entwickeln und leben, damit die, die kommen, nicht schnellstmöglich wieder gehen, sondern bei uns langfristig bleiben möchten. Wie Integration gelingen kann, lässt sich an meiner Branche im Übrigen gut erkennen: Im letzten Jahr hatten 38 Prozent unserer Beschäftigten einen ausländischen Pass.
Die Pandemie und ihre Auswirkungen haben den bereits bestehenden Fach- und Arbeitskräftemangel im Gastgewerbe vor allen Dingen qualitativ noch einmal verschärft. Diese Erkenntnis ist in der Branche – nolens volens – angekommen. Vieles ist in Bewegung geraten, auch schmerzhafte Einschnitte werden bei der Bewältigung nicht ausbleiben. Allerdings war und ist das Gastgewerbe für seinen Innovationsgeist und seine Beweglichkeit bekannt, das macht mich zuversichtlich.
Dreiklang
Am Ende geht es um einen Dreiklang, den jeder für seinen oder ihren Betrieb finden muss. Zufriedene Gäste gibt es langfristig nur mit zufriedenen Beschäftigten. Aber bestehen können Unternehmen nur dann, wenn sie bei alledem wirtschaftlich arbeiten.