Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Europa - mehr Demokratie wagen!

Von Dr. Margarete Haase

Vorsitzende von kölnmetall

Warum es sich lohnt, in der EU mehr Demokratie zu wagen, erklärt Dr.Margarete Haase, Vorsitzende von kölnmetall, im NRW-Wirtschaftsblog.

Europa ist mehr als die europäischen Institutionen.

Viele Bürger verbinden heute mit Brüssel eher Bürokratie und Probleme der Währungsunion als die große friedensstiftende europäische Idee der Nachkriegszeit.

Selbst die unglaublichsten Szenarien sind längst Realität geworden: Institutionen der EU werden bisweilen missbraucht, um politische Ziele, die im demokratischen Prozess eines Mitgliedsstaates nicht durchzusetzen sind, über den Umweg Brüssel doch noch zu realisieren. Dieses „Spiel über die Bande“ wurde jüngst mit eindrucksvollen Beispielen von Dietrich Murswiek in „Die Mehrebenendemokratie in Europa - ein Ding der Unmöglichkeit“ behandelt.

Doch die größte Schwachstelle ist das Demokratie-Defizit der EU. Wolfgang Clement hat das im Handelsblatt im Januar wieder einmal betont. Das Demokratie-Defizit kommt in erster Linie daher, dass der EuGH in den 60er Jahren die europäischen Verträge mit den Wirkungen einer Verfassung versehen und damit dem demokratischen Prozess entzogen hat. Der Staatsrechtler Dieter Grimm hat kürzlich in der WamS vorgeschlagen, alle EU Bestimmungen, die von ihrer Natur nach nichts mit Verfassung zu tun haben, auf europäisches Sekundärrecht abzusenken, um sie wieder dem demokratischen Prozess zugänglich zu machen.

Mehr Demokratie in der EU könnte die Bürger wieder für Europa begeistern. Wie könnte das gelingen? Mögliche Beispiele: Konsequent das Subsidiaritätsprinzip anwenden, einen Negativkatalog erstellen, wo sich die EU nicht einmischen darf, EU Regeln mit Ablaufdatum versehen, Bürokratie abbauen, transparentere Entscheidungsprozesse in der EU-Kommission, Kommissionspräsidenten direkt wählen.

Auch nach dem Brexit ist ein eng abgestimmtes Vorgehen insbesondere bei Fragen der europäischen Außenbeziehungen, der europäischen Verteidigung, der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zwischen Großbritannien, Deutschland und Frankreich über die EU Grenzen hinaus wesentlich für die politische Stärke und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt.

Militärisch ist zwar eine gemeinsame Armee in weiter Ferne. Realistisch und naheliegend sind jedoch europastärkende Maßnahmen wie eine gemeinsame Logistik, gemeinsame Standards, Kompatibilität des Materials oder eine gemeinsame Infrastruktur.

"Soviel Gemeinsamkeit wie nötig, so wenig Bürokratie wie möglich! So könnte man die europäischen Bürger wieder begeistern und an die europäischen Wahlurnen bringen."

Auch auf anderen Gebieten hat die EU offensichtlich Mängel, etwa in der Energie-, Umwelt- oder Migrationspolitik. Energiepolitisch finden es viele merkwürdig, dass soeben die letzte deutsche Steinkohlenzeche geschlossen wurde, aber Kohlestrom aus Polen importiert wird. Und dass wir auf heimische Kernenergie verzichten, aber Atomstrom aus Frankreich und Tschechien importieren.

Die europäische Feinstaubregulierung und die Dieselfahrverbote verletzen das Subsidiaritätsprinzip, behindern das Vertrauen in ein demokratisches Europa und sind ein krasses Beispiel für Bürger- und Realitätsferne. Auch die migrationspolitische Kluft zwischen Deutschland und den restlichen EU-Ländern fördert nicht den europäischen Zusammenhalt.

Wie könnte die EU umgehen mit der großen deutschen Skepsis gegenüber EU-Maßnahmen, welche die finanzielle Autonomie der Nationalstaaten einschränken, wie Eurozonenbudgets oder Eurobonds mit gemeinsamer Haftung, oder etwa auch dem Projekt einer europäischen Arbeitslosenversicherung?
Viele sind davon überzeugt, dass die aufgezählten Mängel eine gemeinsame Ursache haben: nämlich die ungenügende Demokratisierung der europäischen Institutionen. Würden wir in Brüssel endlich „mehr Demokratie wagen“ - so die viel zitierte Überschrift der ersten Regierungserklärung von Willy Brandt im Jahre 1969 - würden viele der Schwachstellen beseitigt werden können.

Bleiben wir realistisch vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte und der wertvollen kulturellen Diversität. Soviel Gemeinsamkeit wie nötig, so wenig Bürokratie wie möglich! So könnte man die europäischen Bürger wieder begeistern und an die europäischen Wahlurnen bringen.

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Dr. Margarete Haase

Vorsitzende von kölnmetall

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