Am Ende des Auswahlgesprächs bedankt sich die zielstrebige junge Bewerberin: „Vielen Dank für das Gespräch. Ihr Unternehmen kommt in die engere Wahl.“ Noch dürfte ein solcher Gesprächsverlauf die Ausnahme sein. Doch die während unserer Pressekonferenz zum Ausbildungsmarkt kürzlich von einem Arbeitgeber berichtete Geschichte führt deutlich vor Augen, was der Wandel vom Stellen- zum Bewerbermarkt für Unternehmen und ihre Personalverantwortlichen bedeutet.
Am Arbeitsmarkt zeichnet sich dieser Wandel ab, am Ausbildungsmarkt ist er längst vollzogen. Hier öffnet sich die Schere zwischen der Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber und der Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze seit 2019 immer weiter. Wenn die Nachwuchsgewinnung aber stockt, bringt das die Fachkräftesicherung von Unternehmen und Betrieben, für die die berufliche Ausbildung traditionell die wichtigste Säule ist, immer stärker in die Bredouille.
Bei vielen Arbeitgebern erlebe ich die Bereitschaft, den Kreis der Bewerberinnen und Bewerber auszuweiten, nicht nur „passgenauen“ Talenten eine Chance zu geben. Agenturen für Arbeit und Jobcenter lassen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dabei nicht allein. Sie unterstützen mit einem umfangreichen Portfolio, angefangen bei einer bürokratiearmen Einstiegsqualifizierung bis hin zu umfangreichen Fördermöglichkeiten durch die Assistierte Ausbildung.
NRW-Ausbildungsmarkt als Vorbild für Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung
Das Engagement aller Akteure am Ausbildungsmarkt wird gestützt durch eine starke Struktur. Ausgangspunkt ist der Ausbildungskonsens, daraus ist „Kein Abschluss ohne Anschluss (KAoA)“ entstanden, das bundesweit vorbildliche Übergangssystem Schule-Beruf in NRW, sowie die Jugendberufsagenturen als gemeinsame Anlaufstelle für die operative Ausgestaltung. Seit 2010 wurden diese Strukturen schrittweise auf- und ausgebaut und bieten eine stabile Grundlage intensiver Zusammenarbeit im Netzwerk.
Der NRW-Ausbildungsmarkt kann damit zum Vorbild für Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung werden. Denn diese Struktur erlaubt es uns, die Nachwuchsarbeit zielgerichtet und unter den Partnern abgestimmt weiterzuentwickeln. Warum ist das so? Weil wir am Ausbildungsmarkt die unterschiedlichen Initiativen, das Engagement und die Angebote aller Partner als Aktivitäten betrachten können, die innerhalb einer Wertschöpfungskette der Nachwuchsgewinnung zusammenhängen. So haben wir die Schulen als Partner identifiziert und die „Kundenreise“ von Schülerinnen und Schülern weiterentwickelt, indem wir die Berufsorientierung ab Klasse 8 in NRW schrittweise eingeführt haben. Auch die Ausbildungsbotschafter sind eine Investition, die in diesem Rahmen zielgerichtet erfolgt ist und als eine neue Idee die berufliche Orientierung und Beratung weiter stärkt.
Ein wichtiger Faktor ist zudem, dass wir auf diese Weise besser aus den Erfahrungen aller Partner, vor allem unserer Kolleginnen und Kollegen, deren tägliches Geschäft die Arbeit in diesen Netzwerken und Prozessketten ist, profitieren können. Wir fragen uns zum Beispiel, warum, obwohl wir alle an einem Strang ziehen, trotz des ganzen Engagements und rapider Veränderungen in den Berufsbildern, die Top 10 der bei den Bewerberinnen und Bewerben beliebtesten Berufe sich über Jahrzehnte kaum verändert hat. Da sagen uns die Beraterinnen und Berater der Kammern, der Arbeitsagenturen und auch die Lehrerinnen und Lehrer, dass es in der Berufsorientierungs-Kette auch noch die Eltern gibt. Sie spielen bei der Ausbildungsentscheidung eine nicht unerhebliche Rolle, verfügen jedoch häufig nicht über ein aktuelles oder umfassendes Bild der Berufswelt. Eine Idee wäre es also, in die Elternarbeit zu investieren.
Wir müssen handeln!
Das werden wir mit den Partnern am Ausbildungsmarkt in diesem Jahr zum ersten Mal umfassend angehen. Es ist eine der gemeinsamen Aktivitäten, die wir im Zuge der Fachkräfteoffensive des Landes NRW rasch umsetzen wollen. Als Beispiel zeigen die Elternabende, wie es im Zuge einer guten, durch eine starke Struktur begünstigten Netzwerkarbeit gelingen kann, unsere knappen Ressourcen zusammenzulegen, gemeinsame Initiativen auf die Beine zu stellen und den Prozess der Nachwuchsarbeit zu optimieren. Dazu kann es dann gehören, nicht nur in unsere primären Aktivitäten als eng verknüpfte Partner zu investieren, sondern auch die Eltern der Schülerinnen und Schüler als Partner zu gewinnen.
Auch am Arbeitsmarkt kann es sinnvoll sein, den Weg zur Fachkraft als eine Art Wertschöpfungskette zu begreifen, an der ganz unterschiedliche Partner ebenso unterschiedlichen Anteil haben. Unabhängig von Zuständigkeiten sollten wir weg von Problembeschreibungen. Wir sollten uns in Lösungsräume hinein bewegen und dort etwa die Themen Kinderbetreuung, hochwertige Beratung, Kompetenzfeststellung, Sprachkurse – nicht nur für geflüchtete Menschen –, die Anerkennung von Abschlüssen, Inhalte von Qualifizierungsmaßnahmen, Lernformen und Finanzierungsfragen klären.
Wir können zum Aufbau gemeinsamer Strukturen für die Fachkräftesicherung beitragen, wie wir sie am Ausbildungsmarkt bereits haben. Noch fehlen sie uns in den Handlungsfeldern des Arbeitsmarktes – und übrigens auch bei der qualifizierten Zuwanderung.
Doch bleiben wir bei der Fachkräftesicherung am Arbeitsmarkt. Ein großes Thema ist aktuell das Missverhältnis von Arbeitslosigkeit auf der einen, einem vielfachen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und dementsprechend vielen offenen Stellen auf der anderen Seite. Ein wichtiger Grund dafür ist die fehlende Balance zwischen den Anforderungen, die die meisten Stellen mitbringen, und den faktischen Qualifikationen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Uns allen ist längst klar: Wir müssen handeln! Wir müssen uns jedoch auch klar darüber sein, dass dies sinnvolle Investitionen bei endlichen Ressourcen voraussetzt. Das können, davon bin ich fest überzeugt, keine einsamen Investitionsentscheidungen sein, die wir ohne Abstimmung mit externen Partnern treffen. Das bringt uns in NRW allenfalls langsam voran. Das wollen wir alle nicht. Doch erfolgreiche Arbeit im Netzwerk gelingt nur, wenn wir eine dazugehörige Struktur errichten.
Hierhin gehört zum Beispiel schon die Frage, wie wir berufliche Bildung für arbeitslose Menschen erfolgsversprechend organisieren, deren Schullaufbahn nicht immer eine Erfolgsgeschichte war. Wir benötigen die Arbeitskraft dieser Menschen in der Wirtschaft dringend. Die Erfahrungen der Arbeitsagenturen und Jobcenter zeigen, dass wir neue Wege versuchen sollten. Doch welche neuen „Kundenreisen“ sind überhaupt denkbar. Welche Möglichkeiten sehen zum Beispiel Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber?
Fachkräftesicherung erfordert Arbeit im Netzwerk
Ein weiteres Beispiel: Ich kenne keinen Beruf, der sich nicht schon verändert hat und sich nicht noch weiter stark verändern wird. Doch nicht alle Unternehmen können berufliche Bildung aus eigener Kraft stemmen. Worin aber sollten die Bildungsträger investieren, wenn sie in die Bresche springen? Welche Weiterbildungen und Qualifizierungen anbieten, wenn sie übernehmen? Könnte man da nicht von starken Partnern in der Wirtschaft mit guten Erfahrungen lernen?
Fachkräftesicherung ist eine Frage von vielen Investitionsentscheidungen sehr unterschiedlicher Akteure. Sie ist eine Frage, die nicht an den eigenen Zuständigkeitsgrenzen endet. Sie erfordert, wenn man sie gut und nachhaltig gestalten möchte, Arbeit im Netzwerk. So können auch neue Partner gewonnen und mit Beiträgen einbezogen werden, die aktuell noch nicht im Portfolio vorkommen. Zum Beispiel Hochschulen, die kurze KI-Module in die berufliche Bildung einbringen könnten.
Die Fachkräfteoffensive der NRW-Landesregierung hat einen ersten, wichtigen Impuls gegeben. Sie ist die Einladung an alle Partner am Arbeitsmarkt, gemeinsam eine starke Grundlage für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung der Zukunft aufzubauen. Ein Vorbild dafür kann der Ausbildungsmarkt mit seinem landesweiten, aber auch den vielen regionalen Konsensen bieten. Eine solche verbindende Struktur, die entlang der gesamten Wertschöpfungsketten der verschiedenen Handlungsfelder alle Glieder mit einbezieht, würde bundesweit sicherlich wieder Beachtung finden. Sie könnte vor allem aber all das Knowhow aktivieren, das in unserem Land bereit steht: Zum Vorteil für unsere Wirtschaft, für unser Land und für uns alle im nationalen wie auch internationalen Wettbewerb.