Es gibt kaum eine Branche, in der nicht über Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen geklagt wird. Diese Entwicklung war bereits vor der Corona-Pandemie erkennbar, hat sich aber durch eben diese nochmals verschärft und drängt sich nun noch akzentuierter in das Bewusstsein aller und in die öffentliche Diskussion.
Im Handwerk ist die Problematik besonders virulent und hier besonders in denjenigen Handwerksbranchen, die nach lange verschlafener Umsetzung der Energiewende nun unter den Eindrücken des völkerrechtswidrigen Überfalls auf die Ukraine in Windeseile die Decarbonisierung des Wärmemarktes in unsere Häuser tragen sollen.
Hohe Nachfrage nicht zu decken
Weil in Medien und Politik schon Szenarien heraufbeschworen werden, in denen die deutsche Wohlstandsbevölkerung auf Heizung und Warmwasser bald verzichten muss, nimmt die Nachfrage nach elektrisch betriebenen Wärmepumpen geradezu hektische Formen an. Da wegen Pandemie und Krieg darüber hinaus auch noch die weltweiten Lieferketten unterbrochen sind, ist die Industrie zur Zeit bei Weitem nicht in der Lage die Nachfrage zu decken.
Und nun hat auch noch das Handwerk weder genügend Fachkräfte, noch ausreichend Auszubildende, um der Nachfrage Herr zu werden.
Es rächt sich nun, dass der Mainstream in unserem Lande über Jahrzehnte glauben machen wollte, dass nur die akademische Ausbildung für junge Menschen persönlich und finanziell das erstrebenswerte Ziel sein kann. Gerade in NRW wurden schon in der Schulausbildung alle Hürden so niedrig gehangen, dass heute in geradezu inflationärem Umfang die Abiturienten mit einem Notenschnitt von 1,0 ihre Schulkarriere beenden. Da wird diesen und allen anderen suggeriert, dass der weitere Weg nur auf der Hochschule stattfinden kann und eine Studienabbrecherquote von rund 35 % ist das Ergebnis.
Digitalisierung als weitere Herausforderung
Gerade die technischen Handwerke entwickeln sich zur Zeit in atemberaubender Geschwindigkeit und um mit dieser Entwicklung Schritt halten zu können, braucht es kluge junge Menschen, und das nicht nur in der Führungsebene, sondern auch an der Basis. Die zunehmende Digitalisierung ist hier eine weitere Herausforderung.
Was ist zu tun? Der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung gibt Mut, wird doch ein Bekenntnis zur Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung abgegeben. Offensichtlich wird erkannt, dass die Energiewende ohne das Handwerk nicht gelingen kann und dass man daher die duale Ausbildung stärken muss. Aber wie muss dieser Rahmen gefüllt werden, damit es nicht bei Absichtserklärungen bleibt?
Öffentlichkeitsarbeit Zunächst muss ein Stimmungswandel in der Bevölkerung gelingen, durch stetige Betonung der Landesregierung unter Mithilfe der Handwerksorganisationen hinsichtlich der Bedeutung und Systemrelevanz des Handwerks für Energiewende und Klimaneutralität. Eine solche Charmeoffensive ist der Vorgängerregierung in Sachen Wirtschaftsfreundlichkeit auch recht gut gelungen.
Berufsschulen Die Ankündigung von 10.000 neuen Lehrerinnen und Lehrern, wenn sie denn gefunden werden können, wäre von großer Bedeutung, wenn sie zum einen in den allgemeinbildenden Schulen zu mehr Ausbildungsqualität führen würden, zum anderen aber auch den seit Langem quälenden Lehrermangel an Berufsschulen heilen könnten. Vermutlich wird man an entsprechenden Anreizen bei der Lehrerausbildung nicht vorbeikommen.
Überbetriebliche Ausbildung Die meisten überbetrieblichen Ausbildungsstätten datieren aus den 1970ern und sind inzwischen in die Jahre gekommen. Diese Stätten auf ein modernes Niveau in baulicher, technischer und didaktischer Hinsicht zu bringen ist eine Aufgabe, die das Handwerk nicht alleine stemmen kann. Hier braucht es erhebliche Bundes- und Landesmittel. Solche Ausbildungsorte werden gebraucht, damit das Handwerk für junge Menschen attraktiv ist.
Ausbildungskonsens Um schon allein der demografischen Entwicklung entgegen zu wirken, ist es weiter wichtig, den recht erfolgreichen Ausbildungskonsens zwischen Landesregierung, Industrie, Handel, Handwerk, Freien Berufen, Arbeitsagentur und kommunalen Vertretern weiterzuführen und zu intensivieren.
Abiturienten und Studienaussteiger Es muss uns in Zukunft gelingen, nicht nur in Haupt- und Realschulen, sondern auch an Gesamtschulen und Gymnasien junge Menschen anzusprechen und für das Handwerk zu gewinnen. Außerdem müssen Kontakte besonders zu den Fachhochschulen etabliert werden, um Studienaussteiger stärker zu bewerben.
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Handwerksorganisationen in NRW werden alles tun, um die gegenwärtige Chance zu nutzen, der dualen Ausbildung die Bedeutung zu verschaffen, die sie verdient und damit mittelfristig doch noch die Fachkräfte zu gewinnen, die es braucht, um die Energiewende erfolgreich umzusetzen.