Der NRW-Wirt­schafts­blog
Klartext
im Westen

Gezielte Maßnahmen gegen den Fach­kräf­te­mangel

Von Prof. Dr. Axel Plünnecke

Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration am Institut der deutschen Wirtschaft Köln

„Wir müssen den richtigen Ordnungsrahmen schaffen, um genügend Fachkräfte für die Transformation zu gewinnen und flexibel einsetzen zu können“, betont Axel Plünnecke im Blog.

Die Fach­kräf­te­eng­pässe, die bereits im Alltag spürbar sind, werden durch den bevorstehenden demografischen Wandel verschärft. In den nächsten Jahren werden mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als junge Menschen nachrücken. Das Arbeits­kräf­te­an­gebot wird deutlich schrumpfen, und Unternehmen müssen sich langfristig auf Fach- und Arbeits­kräf­te­mangel einstellen. Der daraus resultierende Wettbewerb um Fachkräfte wird intensiver, was zu steigenden Anforderungen auch an die Unternehmen führt, die individuelle Wünsche der Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer noch stärker zu berück­sich­tigen.

Zusätzlich zu den demografischen Heraus­for­de­rungen beeinflussen Megatrends wie Digi­ta­li­sie­rung, Dekar­bo­ni­sie­rung und De-Globalisierung die Arbeitswelt. Unternehmen sehen sich vor allem durch den Mangel an digitalen Fachkräften bedroht, während die notwendige Reduktion von Treibhausgasen ebenfalls spezialisierte Arbeitskräfte erfordert. Um klima­freund­liche Prozesse und Produkte zu entwickeln, sind Experten aus den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Natur­wis­sen­schaft und Technik) besonders gefragt. Um gegen globale Verwerfungen resillienter zu werden, sind mehr Innovationen notwendig. Auch hier werden vor allem MINT-Kräfte benötigt, denn rund drei Viertel der in den Bereichen Forschung und Entwicklung tätigen Personen haben eine solche Qualifikation. Trotz der konjunk­tu­rellen Abkühlung zeigen sich aber gerade hier weiterhin große Engpässe: Im Frühjahr 2024 fehlten allein in NRW rund 32.000 MINT-Kräfte, um rein rechnerisch alle offenen Stellen nach Abzug der Arbeitslosen in MINT-Berufen zu besetzen.

Verein­bar­keit von Familie und Beruf wichtiger Rolle

Um den drohenden strukturell zunehmenden Fach­kräf­te­mangel abzufedern, bedarf es gezielter Maßnahmen. Dazu gehört die Förderung der Erwerbs­tä­tig­keit aller Altersgruppen, insbesondere durch Anreize, länger zu arbeiten und später in Rente zu gehen. Daneben spielt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rolle, um das inländische Arbeits­kräf­te­po­ten­zial besser zu nutzen. Besonders Frauen könnten nach der aktiven Familienphase verstärkt und in höherem Zeitumfang ins Arbeitsleben zurückkehren. Dazu müssen Betreu­ungs­an­ge­bote für Kinder ausgebaut werden. Es fehlen auch in NRW nach IW-Berechnungen rund 90.000 KITA-Plätze für unter 3-Jährige und hochwertige und flexible Ganz­tags­an­ge­bote an Schulen.

Die Heraus­for­de­rungen in der Bildung sind ebenfalls groß. Insbesondere in den MINT-Fächern, die für die Transformation und Inno­va­ti­ons­kraft des Landes entscheidend sind, mangelt es an qualifiziertem Nachwuchs. Die Lese­kom­pe­tenzen der Kinder müssen durch mehr Förderung – beginnend schon durch verbindliche Sprach­stand­s­er­he­bungen und -förder­maß­nahmen in den Kindergärten – verbessert werden, um die auch in NRW hohe Bildungsarmut zu reduzieren und damit die Ausbil­dungs­reife der Jugendlichen zu sichern. Der MINT-Unterricht ist weiter zu stärken, und die Berufs­ori­en­tie­rung an Schulen sollte weiter intensiviert werden. Wichtig ist dabei auch im Unterricht zu verankern, welche Bedeutung Innovationen und die MINT-Fächer für den Klimaschutz haben.

Förderung von quali­fi­zierter Zuwan­de­rung

Neben den inländischen Potenzialen müssen auch die Potenziale aus dem Ausland besser gehoben werden. Eine notwendige Maßnahme ist hier die Förderung von qualifizierter Zuwanderung. Dabei müssen die Chancen des neuen Fach­kräf­te­ein­wan­de­rungs­ge­setzes besser genutzt werden, indem bürokratische Hürden abgebaut und die Prozesse der Fach­kräf­te­mi­gra­tion beschleunigt werden. Dazu sollte die Zuwanderung über die Hochschulen ausgeweitet werden. Zuwanderer über die Hochschulen haben häufig MINT-Quali­fi­ka­tionen, weisen einen großen Arbeits­markt­er­folg auf und kommen aus demo­gra­fie­starken Drittstaaten wie Indien. Hierdurch entstehen auch langfristig wichtige Netz­werk­ef­fekte, die helfen können, auch in anderen Berufen – zum Beispiel über die Chancenkarte – weitere Fachkräfte aus diesen Ländern für Deutschland besser zu gewinnen.

Wichtig ist es ferner grundsätzlich für den Arbeitsmarkt, dass die Politik Maßnahmen ergreift, die flexible Arbeits­lö­sungen fördern. Diese Flexibilität ist entscheidend, um den Trans­for­ma­ti­ons­pro­zessen durch Digi­ta­li­sie­rung und Dekar­bo­ni­sie­rung gerecht zu werden. Arbeitsplätze müssen erhalten, aber auch neu geschaffen werden. Wichtig ist dabei, dass Arbeitskräfte mobil bleiben und Unternehmen in der Lage sind, schnell auf Markt­ver­än­de­rungen zu reagieren. 

Die großen Heraus­for­de­rungen der kommenden Jahre – Demografie, Digi­ta­li­sie­rung und Dekar­bo­ni­sie­rung – sind unumkehrbar. Es bedarf daher entschiedener politischer Maßnahmen, um das Fach­kräf­te­po­ten­zial bestmöglich zu nutzen und die Wett­be­werbs­fä­hig­keit Deutschlands zu sichern. Nur durch ausreichend qualifizierte Fachkräfte kann das Land die bevorstehenden Umbrüche erfolgreich meistern.

Über den Autor
Prof. Dr. Axel Plünnecke

Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration am Institut der deutschen Wirtschaft Köln

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