Der NRW-Wirtschaftsblog
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im Westen

Hände weg von der Tarifautonomie – nicht nur in NRW

Von Dr. Luitwin  Mallmann

Bis Ende 2021 Hauptgeschäftsführer unternehmer nrw

100 Jahre Tarifautonomie bedeuten 100 Jahre erfolgreiche Sozialpartnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dr. Luitwin Mallmann, Hauptgeschäftsführer von unternehmer nrw, blickt zurück und voraus.

In diesen Tagen wird an die Begründung der Tarifautonomie durch das Stinnes-Legien-Abkommen vor 100 Jahren erinnert. Damals gab es das Land NRW noch nicht und dennoch hat das Jubiläum viel mit uns zu tun. Dabei denke ich weniger an die Tatsache, dass der Unternehmer Hugo Stinnes aus Mülheim an der Ruhr kam und der Kern seines Geschäftes am Rhein und Ruhr lag.

Ich glaube vielmehr, dass das demokratische Prinzip Tarifautonomie in unserem industriellen Ballungsraum auf besonders fruchtbaren Boden gefallen ist.

Die Probleme ohne Einmischung von außen, staatsfern selbst zu lösen, das hat Tradition in unserem Land. Das heißt, hier kann man die eigenen Interessen im Auge behalten und weiß dennoch genau, dass man dabei nicht auf Maximalpositionen bestehen kann, um auf Hilfe von außen zu hoffen. Und die Verhandlungsparteien - aus welchem Lager auch immer – begegnen sich mit Respekt und auf Augenhöhe. Das ist nicht immer einfach, die Konflikte der Arbeitswelt, der sogenannte Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ruft immer wieder Demagogen auf den Plan.

Wie leichtfertig die Prinzipien der Tarifautonomie aufs Spiel gesetzt werden, können wir jetzt im Jubiläumsjahr erleben.

Da wird aus einer am Abgrund stehenden ehemaligen Volkspartei gefordert, die Bindung des Mindestlohnes an die allgemeine Tarifentwicklung zu kappen und die Mindestlohnkommission aus Gewerkschaften und Arbeitgebern aufzulösen. In Zukunft soll die Festlegung des Mindestlohnes dem freien Spiel der sich mit fremdem Geld überbietenden Politikern überlassen sein. Zurzeit wird ein Mindestlohn von 12 Euro in der Stunde aufgerufen.

Eine schallende Ohrfeige für die Arbeit der Gewerkschaften, die in hunderten Tarifverträgen für einfache Arbeiten aus gutem Grund niedrigere Einstiegslöhne vereinbart haben. Von den volkswirtschaftlichen Folgen einer solchen maßlosen staatlichen Lohnpolitik sei gar nicht gesprochen.

"Die Probleme ohne Einmischung von außen, staatsfern selbst zu lösen, das hat Tradition in unserem Land. Das heißt, hier kann man die eigenen Interessen im Auge behalten und weiß dennoch genau, dass man dabei nicht auf Maximalpositionen bestehen kann, um auf Hilfe von außen zu hoffen. Und die Verhandlungsparteien - aus welchem Lager auch immer – begegnen sich mit Respekt und auf Augenhöhe."

Eigentlich müsste ein Aufschrei des Protestes aus dem Lager der Tarifparteien durch die Republik gehen. Immerhin ist die Tarifautonomie im Grundgesetz verankert. Sie ist eine der tragenden Säulen der sozialen Marktwirtschaft. Man kann die Dreistigkeit, mit der da diese Säule gekippt werden soll, mit der Unkenntnis des Prinzips Tarifautonomie erklären. Wahrscheinlicher aber ist, dass wir es mit schierem Populismus zu tun haben, der glaubt den Gesetzen einer Stimmungsdemokratie folgen zu müssen. Verfassungsrechtliche Fragen sind da offensichtlich zweitrangig.

Tarifvertragsparteien in NRW haben 2010 in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit gezeigt, dass sie soziale Probleme lösen können. Sie vereinbarten eine Lohnpause und machten den Weg für Kurzarbeit statt Entlassungen frei. Das war eine Sternstunde der Tarifautonomie. Die Kompetenz Arbeitsbedingungen pragmatisch, sozial und gerecht festzulegen, ist den Tarifparteien seitdem nicht abhandengekommen, nicht in NRW und auch nicht im Rest der Republik.

Sie wollen und werden diese Verantwortung auch weiterhin wahrnehmen. Gerade die Branchen, deren Tarifverträge durch einen Mindestlohn von 12 Euro in der Stunde für Makulatur erklärt würden, müssen sich gemeinsam mit den anderen Tarifträgern laut zu Wort melden. So kompliziert sind die Zusammenhänge doch nicht.

Aus NRW heraus kann den falschen Propheten Einhalt geboten werden, die von einem bedingungslosen Grundeinkommen träumen oder den Mindestlohn nach Gefühl ohne Bindung an die allgemeine Tarifentwicklung bestimmen wollen. Solche Vorschläge sind nicht nur unvereinbar mit der sozialen Marktwirtschaft und der Tarifautonomie. Sie missachten auch die Menschen, die sich täglich ihren in freien Verhandlungen ausgehandelten leistungsrechten Lohn erarbeiten. Deshalb: Hände weg von der Tarifautonomie, nicht nur in NRW.

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Dr. Luitwin Mallmann

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