Wie einig sich Gesellschaft, Medien und die Politiker heute sind, das Ende der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP ersehnt zu haben und nun als völlig logisch analysieren zu können, ist in diesen Tagen erstaunlich. Denn das Gegenteil ist der Fall: Deutschland hat den Streit der Ampel über Jahre immer leidlich verärgert zur Kenntnis genommen, angesichts der Dimension der Regierungskrise mit Auswirkungen in fast jeden Politikbereich hinein aber in erstaunlichem Ausmaß ertragen. Hätte die FDP wohl ihren D-Day nicht geplant und in Olaf Scholz nicht doch noch die Leidenschaft für neue Schulden gesiegt – diese Republik hätte weiter bis zum Herbst 2025 alles hingenommen, was aus der Ampel heraus nicht entsteht.
Das ist ein Problem. Vor allem, weil diese mentale Lethargie längst zu viele Themen erfasst hat, die man in den vergangenen Jahren landes- wie bundespolitisch als wichtig und teils alternativlos erachtet, dann aber doch munter vor sich hergeschoben hat.
Das sind oft Vorhaben, für die Wahlkämpfer in Düsseldorf oder Berlin vielfach Lösungen versprochen, dann aber nie umgesetzt haben. Etwa, eine Regelung für die Altschulden von finanziell extrem darbenden Kommunen zu finden. Es ist ein Segen, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung aus CDU und Grünen einen Altschuldenfonds für so viele Städte, die sich haushalterisch kaum eine Pflicht-, geschweige denn eine Küraufgabe leisten können, endlich aufs Gleis gesetzt hat. Davon wird auch die heimische Wirtschaft profitieren. Zugleich muss man sich in der Staatskanzlei am Horionplatz aber auch den Vorwurf gefallen lassen, dass Ministerpräsident Hendrik Wüst sein Gewicht nur unzureichend in die Waagschale geworfen hat, als es darum ging, den Bund mit zu verpflichten. Denn dafür müsste die Union in Berlin nicht nur über eine Grundgesetzesänderung mithandeln, sondern vorher auch politische Lobbyarbeit betreiben. So bleibt es nun ein zäher Prozess. Jetzt werden neue kommunale Kredite zu weit höheren Zinsen nötig als zuletzt möglich, die den Spielraum der Kommunen für Bau und Fortschritt weiter einengen. Und eine Lösung, die eine nächste Bundesregierung womöglich unter Unions-Führung lieber für sich proklamieren möchte, wird für den Steuerzahler teurer.
Wer hört, wie häufig NRW-Landespolitiker auch über Bürokratieflut klagen, der kann schon mal den Glauben verlieren, wenn aus diesem vielstimmigen Chor aus Industrie, Mittelstand und Politik so wenig folgt wie bislang. Die NRW-Landesregierung hat gerade zwar ein „Paket zum Abbau bürokratischer Regeln und der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Entlastung von Wirtschaft und Bürgern“ verabschiedet. Der große Wurf aber bleibt aus. Zu viele Inhalte sind auf „soll“, „muss“ und „wird“ gesetzt. Zu viel Zeit verstreicht, um entschlossen und gemeinsam an der ganz großen Reform zu basteln, die all diese kleinteiligen Prozesse unnötig machen würde. Noch deutlich mehr Ärger ruft aber der schlecht gepflegte Bürokratieabbau der EU-Parlamentarier in Brüssel und Straßburg hervor. „Wir haben dort ein Monster geschaffen“, sagte erst vor wenigen Tagen ein Vorstandsmitglied eines noch erfolgreichen Unternehmens im Herzen von NRW - weil sich bewahrheitet, was NRW-Politiker in Hintergrundgesprächen immer öfter bestätigen: Wo hier drei Vorschriften gestrichen werden, wachsen sechs aus Brüssel nach. Das stimmt. Aber klar ist auch: Mit dem genervten Verweis auf die andere Ebene ist für das Gesamtprojekt nie etwas gewonnen. Genau das ist ein Problem in der Krise. Es braucht jetzt mehr Arbeit an Gemeinsamkeit für das große Ganze. Und nicht mehr Analyse von Unterschieden der Ebenen.
Auch der Industrie- oder Brückenstrompreis, der in Nordrhein-Westfalen wegen der energieintensiven Industrie von besonderer Bedeutung gewesen wäre, gehört in diese Reihe. Viele Monate, auch Jahre sind ins Land gezogen, ohne dass Politiker verschiedener Parteien ihn wieder und wieder gefordert hätten - ohne an den entsprechenden Stellen Gehör zu finden. Die SPD in NRW hat diese Entlastung für mehr Konkurrenzfähigkeit immer noch auf der Agenda. Ihr Kanzler Olaf Scholz aber hört seit mehr als einem Jahr nicht hin, seinerzeit deutete er das den Unternehmern in NRW in den Düsseldorfer Rheinterrassen schon auf seine unnachahmliche Art an. Wohl vor allem, weil sein Finanzminister a.D. mit der FDP keine Preise subventionieren möchte, die man zuvor durch Atomausstieg und andere Maßnahmen nach oben gepegelt hat. Wieder lautet die Diagnose: Die Probleme verteuern sich überbordend, wenn Politik in der Krise nichts an ihrem Verhalten ändert und alte Muster weiterlebt, als seien das Gesetze der Demokratie. Das soll nicht bedeuten, dass die Wirtschaft freigesprochen ist. Aber der Eindruck hat sich verfestigt, dass bei den Rahmenbedingungen zu viel liegen bleibt, was das Leben der Menschen schneller besser machen könnte.