Die „Energiewelt“, wie wir sie bislang kannten, hat sich in den letzten anderthalb Jahren fundamental verändert. Die Energiepreise sind volatil wie kaum je zuvor, eine verlässliche Versorgungssicherheit ist nicht mehr selbstverständlich. Hinzu kommt der drastische steigende Bedarf an Energie aus „grünen“ Quellen, sei es Strom oder zur Produktion von Wasserstoff.
Für große wie mittelständische (Industrie-)Unternehmen sind wettbewerbsfähige Energiepreise damit zu einer Überlebensfrage geworden: Die Strompreise in Deutschland sind nicht nur höher als vor der Energiekrise, sondern auch deutlich höher als im innereuropäischen Vergleich. Dieser Wettbewerbsnachteil vergrößert sich, wenn wir über die Grenzen Europas hinausschauen: In den USA beispielweise sind die Strompreise erheblich niedriger.
Aktuelle Lage Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland
Die aktuelle Lage ist zu einer realen Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland geworden. Das betrifft nicht nur die großen, energieintensiven Unternehmen, sondern auch viele Mittelständler sowie nachgelagerte Wertschöpfungsketten. Um hier langfristige negative Folgen für den Standort zu vermeiden, brauchen wir ein schnelles, pragmatisches und effektives Handeln. Dabei dürfen Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch Mittelstand und große Industrieunternehmen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Diskussion um einen Industriestrompreis ist zu begrüßen. Klar ist aber: Es kann sich hier nicht um dauerhafte Subventionen handeln, sondern nur um eine Unterstützung zur Überbrückung, bis ausreichend Energie aus erneuerbaren Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht. Das Bundeswirtschaftsministerium hat jüngst einen guten Entwurf für einen Brückenstrompreis vorgelegt.
Besonders vulnerabel sind an diesem Punkt die Unternehmen, die sich gerade in einer Transformationsphase hin zur klimaneutralen, zur „grünen“ Produktion befinden und die sehr bald auf große Mengen an grüner Energie angewiesen sein werden.
"Green Steel Made in Germany" zu einem weltweit begehrten Gut machen
Das gilt auch und im Besonderen für die Stahlbranche. Stahl kann grün werden und auf diesem Wege mehr CO2 vermeiden als jede andere Branche. Denn der Prozess zur Roheisenherstellung kann von Kohle auf Wasserstoff umgestellt werden. Pro Tonne eingesetzten Wasserstoffs werden dabei 28 Tonnen CO2 vermieden. Stahl hat also Zukunft – wenn er klimaneutral produziert wird. Und gerade für die Transformation ist Stahl unabdingbar – keine Energie- und Mobilitätswende ohne Stahl. Darüber hinaus ist Stahl für die deutsche wie die europäische Wirtschaft ein unverzichtbarer Grundpfeiler: Im Jahr 2022 hat die deutsche Stahlbranche mit ihren 27 Standorten und 83.000 Beschäftigten einen Umsatz von rund 50 Milliarden Euro erzielt. Zwei Drittel aller deutschen Exporte bestehen aus stahlintensiven Gütern. Und gerade mit der mittelständischen Wirtschaft bilden die Unternehmen der Stahlindustrie seit Jahrzehnten profitable Innovations- und Wertschöpfungsachsen. All dies wollen und müssen wir erhalten.
Das bedeutet aber auch, dass wir bei diesem epochalen Strukturwandel, der vor uns liegt, keine Zeit verlieren dürfen. Denn wir haben die Chance, „Green Steel Made in Germany“ zu einem weltweit begehrten Gut zu machen.
Wir bei thyssenkrupp Steel haben uns auf den Weg gemacht: Anfang des Jahres haben wir den Auftrag zum Bau der größten wasserstoffbetriebenen Direktreduktionsanlage Deutschlands vergeben. Bundes- und Landesregierung werden unser Projekt mit rund zwei Milliarden Euro fördern. Bereits mit dieser ersten Anlage können wir bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden.
Günstiger Strom wird konstitutiv für den erfolgreichen Hochlauf einer Wasserstoffökonomie
Die Technologie dazu ist vorhanden. Aber, und damit kehren wir zum Thema Energie zurück: Für die Umstellung bedarf es enormer Mengen erneuerbarer Energien. Allein bei uns entsteht 2030 ein Gesamtbedarf an grünem Strom von 20 Terrawattstunden. Das ist nahezu das Zweifache des heutigen Stromverbrauchs der Stadt Hamburg. Strom zur Herstellung des bei uns benötigten Wasserstoffs und Strom, den wir direkt für unsere Prozesse brauchen. Unser Beispiel zeigt, dass Stahl zu einer der wichtigsten Nachfragebranchen für Wasserstoff werden wird. Und zugleich ist klar: Günstiger Strom wird konstitutiv für den erfolgreichen Hochlauf einer Wasserstoffökonomie.
Das Beispiel Stahl zeigt stellvertretend für viele weitere Branchen: Verfügbarkeit von ausreichend Erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen sind entscheidend für eine erfolgreiche Transformation unserer Industriegesellschaft. Alle Kraft auf den raschen Ausbau!