Der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise in Deutschland und Westeuropa wirkt wie ein Schauglas. Es verdeutlicht allen Bürgern schmerzhaft, wie fragil die Versorgungssicherheit und wie schwierig die Bezahlbarkeit von Energie hierzulande ist. Für energieintensiv am Standort Deutschland produzierende Unternehmen ist Energie als dritter großer Kostenfaktor neben Material- und Personalkosten bereits seit vielen Jahren ein wichtiges Thema. Dies zeigt sich auch durch viele Energieeffizienzmaßnahmen und Energiemanagementsysteme, welche in den Unternehmen umgesetzt worden sind. Dennoch erhielt das Thema Energie im vergangenen Jahr nochmals einen signifikant höheren Stellenwert.
Sowohl die Sorge um die sichere Versorgung mit Strom und insbesondere Erdgas für die energieintensiven Fertigungsprozesse als auch die massiv angestiegenen Energiekosten und die daraus resultierenden Sorgen um die Konjunktur haben den Unternehmensalltag im vergangenen Jahr dominiert.
Beihilfe und staatliche Unterstützung wirken nur begrenzt
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang allenfalls, dass auch staatliche Institutionen die Bedrohlichkeit dieser Lage erkannt haben und einige Gegenmaßnahmen gestartet haben. In diesem Zusammenhang sei vor allem das Erdgas-Wärme- sowie das Strompreisbremsengesetz genannt. Diese bieten zwar eine gewisse Entlastung für Bürgerinnen und Bürger sowie für industrielle Großverbraucher. Entscheidend für die Entlastungswirkung sind jedoch der angesetzte Referenzpreis sowie das Entlastungskontingent. Diese sind so angesetzt, dass für Erdgas in Industriebetrieben auch nach Beihilfegewährung immer noch drei- bis vierfach erhöhte Energiekosten gegenüber dem Vorkrisenniveau anfallen. Andersherum gerechnet werden in vielen Fällen lediglich rund 20 bis 25% der tatsächlich angefallenen krisenbedingten Mehrkosten durch staatliche Beihilfen gedeckt.
Diese krisenbedingten Mehrkosten für Energie sind jedoch nicht die einzige Sorge der energieintensiven Industrie in Deutschland. Bereits vor der Krise kamen zu den ohnehin im internationalen Maßstab hohen Energiekosten zusätzliche staatlich geregelte Kostenbausteine hinzu, die im internationalen Wettbewerb problematisch sind. Hier sei exemplarisch das Brennstoffemissionshandelsgesetz genannt. Die Wirkung dieser zusätzlichen Kosten für CO2-Emissionen entfaltet dabei nicht nur eine Motivation der energieintensiven Industrie zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen – sie bildet auch eine schwere finanzielle Bürde für diejenigen Unternehmen, deren Prozesse nicht einfach decarbonisiert werden können.
Zur Abmilderung dieser Nachteile im internationalen Wettbewerb und zur Verhinderung der Verlagerung dieser Prozessschritte in Länder mit geringeren Umweltstandards werden – sofern diese von der EU genehmigt wird – nach der Carbon Leakage Verordnung Hilfen gewährt, die unter bestimmten Auflagen zumindest einen Anteil dieser CO2-Kosten erstattet. Insgesamt verbleibt jedoch eine massive Kostenbelastung bei den Unternehmen, die kaum an Kunden weiterbelastet werden kann, wenn die internationalen Wettbewerber unter anderen Rahmenbedingungen fertigen können. Immerhin wurden bundespolitisch diese Gefahr für die Gesellschaft, die Wertschöpfungsketten und unzählige Arbeitsplätze erkannt und eine Maßnahme zur Linderung ergriffen.
Transformationsprozess nur mit der Industrie zu schaffen
Diesen Zielkonflikt zwischen Industriepolitik und Klimaschutz trägt das Landesministerium bereits im Namen – „Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW“. Das übergeordnete Ziel der Gestaltung eines ersten klimaneutralen Industrielandes durch eine Decarbonisierung des Energieeinsatzes auf sowohl privater wie auch gewerblicher Ebene ist durchaus ambitioniert.
Sehr zu begrüßen ist dabei die Initiative dieses Ministeriums, mit der Industrie im Rahmen des „Industriepaktes NRW“ ins vertiefte Gespräch zu kommen, um die Chancen und vor allem Hindernisse auf dem Transformationspfad hin zu einer klimaneutralen Industrie zu identifizieren und Lösungen sowie Wege zur Realisierung zu suchen.
Entscheidend hierbei ist ein realistischer Blick auf die bestehenden Strukturen und die vorhandenen Lösungen einschließlich aktueller aussichtsreichen Entwicklungsergebnisse. Wenig hilfreich sind dagegen allgemeine Forderungen ohne Realisierungschance. Zum Beispiel ist nicht jeder industrielle Fertigungsprozess, der derzeit auf dem Einsatz von Erdgas basiert, durch eine Elektrifizierung zu ersetzen. Große Freiformschmiedestücke, wie sie für den Bau von Windkraftanlagen unerlässlich sind, können nur in gasbeheizten Öfen erwärmt werden, da Induktionsöfen bereits bei kleineren Teilequerschnitten an ihre physikalischen Grenzen stoßen, die sich nicht durch theoretische Diskussionsmodelle aus Thinktanks umgehen lassen.
Das Überleben der industriellen Basis ist dabei nur zu erreichen, wenn die Reihenfolge der Schritte auf diesem Wege richtig gewählt wird. Es muss zuerst eine technisch umsetzbare, sichere und vor allem im internationalen Wettbewerb bezahlbare Alternative vorhanden sein, bevor durch staatliche Eingriffe fossile Bestandstechnologien reduziert werden. Der umgekehrte Weg mit dem Beginn einer einseitigen Verteuerung fossiler Energieträger, gefolgt von der Suche nach einer Alternative und einer erst späteren Umsetzung des Zubaus erneuerbarer Stromerzeugung und des Aufbaus einer Wasserstoffversorgung ist problematisch. Dies würde auf dem Transformationspfad zu lange dauern und könnte durch die höheren Kosten ohne verfügbare Alternative zwischenzeitlich zu einer schleichenden Deindustrialisierung und dem Verlust eben dieser Industrien führen, die durch einen gemeinsamen Prozess decarbonisert und als Teil der Energiewende grüne Vorbilder für eine nachhaltige Welt erhalten werden sollen.
Als denkbare Alternative für Erdgas insbesondere in Produktionsprozessen, die nicht elektrifiziert werden können, steht derzeit Wasserstoff im Fokus. Auf diesem Pfad ist es von höchster Bedeutung, dass neben der Lösung offener technologischer Fragen der Erzeugung und Anwendung von Wasserstoff auch die Verfügbarkeit von Wasserstoff in großen Mengen für industrielle Anwender gesichert wird und zudem ein international wettbewerbsfähiger Preis im Vergleich zum Weltmarktpreis von Erdgas erreicht werden kann. Nur so kann die Transformation der energieintensiven Industrie gelingen, um die Industrie und die damit verbundenen Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze in Deutschland und NRW zu halten.