Wir haben die falsche Geschäftsidee. Nicht grundsätzlich. Aber momentan. Wir führen Kneipen, Restaurants, Cafés, Clubs, Hotels, Pensionen und versorgen Veranstaltungen, Schulen und Events. Wir sind immer da, wo Menschen zusammenkommen. Häufig sind wir auch einfach der Grund, warum Menschen zusammenkommen. Wir sind Treffpunkt, zweites Wohn- und Schlafzimmer, wir bieten Diskussions-, Genussräume, wir lassen bei uns tanzen. Unsere Angebote sind analog, auf Nähe und Miteinander ausgerichtet. In Zeiten der Corona-Krise ist genau das aber nicht nur unerwünscht. Schlimmer. Es ist verboten, weil wir das Gegenteil von Mindestabstand sind.
Das Gastgewerbe in Nordrhein-Westfalen und in fast allen Regionen und Ländern Europas erlebt die schlimmste Zeit seit Ende des Krieges. Wir waren die Ersten, deren Betriebe geschlossen wurden und sind – nach jetzigem Stand der Dinge – die Letzten, die ihre Türen wieder öffnen dürfen. Die Kurzarbeiter-Quote in Nordrhein-Westfalen liegt nahe an 98 Prozent. Die Umsatzeinbußen häufig ähnlich hoch. Abhol- und Lieferangebote lindern, aber lösen das Problem genauso wenig wie Geschäftsreisende in den Hotels, die es fast nicht mehr gibt, weil der Geschäftsreiseverkehr nahezu zum Erliegen gekommen ist. Belegungsquoten von vielleicht 5% sind letal.
Vor Corona arbeiteten in rund 51.000 Betrieben mehr als 400.000 Beschäftigte in allen unseren Städten und auf dem Land. Kurzfristig gehen wir davon aus, dass ein Drittel der Betriebe vor dem finalen Aus steht. Wer das in absolute Zahlen übersetzt, kann schnell errechnen, dass mehr als 15.000 Betriebe und dementsprechend Beschäftigte betroffen wären.
Nach der ersten Euphorie über das zügige Handeln unserer Regierungen in Bund und Ländern stellen wir fest, dass die Wucht der Corona-Krise uns nicht nur in ein künstliches Koma versetzt hat, aus dem wir nach der Krise gestärkt und zu allem bereit, erweckt werden könnten, sondern dass viele Restaurants, Cafés, Kneipen, Hotels, Caterer und Clubs nicht mehr aus diesem Trauma aufwachen werden, wenn der Staat nicht mit zusätzlichen Mitteln das Sonderopfer, das die Branche gerade für die Gesundheit der Gesellschaft erbringt, ausgleicht. Wir haben uns sehr gefreut, dass der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Essen ab dem 1. Juli gelten wird, wissend, dass er denknotwendig Umsätze voraussetzt, die wir gerade nicht haben. Es ist also der zweite vor dem ersten Schritt, perspektivisch allerdings ein ganz wichtiger. Denn nur mit einer deutlichen Erhöhung der Rendite im Gastgewerbe besteht überhaupt eine Chance aufgebaute Verbindlichkeiten auch wieder abtragen zu können. Das Sonderopfer muss im ersten Schritt über ein eigenes Rettungspaket ausgeglichen werden, solange Betriebskosten wie Pachten zum Beispiel keine Einnahmen gegenüberstehen. 9.000 Euro Soforthilfe für drei Monate helfen bedingt, selbst wenn der Pachtzins monatlich bei nur 2.000 bis 3.000 Euro liegen sollte. Genauso können es in Düsseldorf aber auch 12.000 Euro sein. Dass Gastronomen und Hoteliers als Pächter das „Pachtrisiko“ momentan noch allein tragen müssen, ist zudem unbillig. Wenn eine Branche staatlich geschlossen wird, warum soll das Risiko für eine zu diesem Zweck verpachtete gewerbliche Immobilie allein der Pächter tragen? Das ist das Gegenteil von gerecht und bedarf einer gesetzlichen Regelung, die eine angemessene Risikoverteilung vorsieht.
"Man kann uns zeitlich nicht immer weiter, lapidar verkündet in einem Nebensatz auf einer Pressekonferenz, einfach nach hinten schieben. Wir erwarten von der Politik konkrete und realistische Parameter."
Die Lockerungen müssen kommen. Am 6. Mai – beim nächsten Treffen der Bund- und Länderspitzen - muss ein Fahrplan vorgelegt werden. Auch für das Gastgewerbe. Was in den letzten Wochen an Lockdown-Maßnahmen richtig gewesen ist – wir haben das nie in Frage gestellt – muss ab jetzt neu bestimmt werden. Mir scheinen einige Maßnahmen wie die pauschale Schließung der Gastronomie nicht mehr verhältnismäßig. Man kann uns zeitlich nicht immer weiter, lapidar verkündet in einem Nebensatz auf einer Pressekonferenz, einfach nach hinten schieben. Wir erwarten von der Politik konkrete und realistische Parameter. Mindestabstände können wir umsetzen. Erhöhte Hygieneanforderungen? Unsere Unternehmer*innen und Mitarbeiter*innen sind „hygieneerprobt“, weil es zu unserem normalen täglichen Tun gehört. Was befürchtet der Staat, wenn Restaurants, Cafés und Hotels wieder öffnen? Menschenmassen, die sich Ischgl-gleich in Bars oder auf Karnevalsveranstaltungen drängeln? Überfüllte Restaurants und Hotels? Ich glaube, diese Befürchtungen sind unbegründet, weil sie nicht der alltäglichen Realität entsprechen. Aber was ist Realität? Der Restaurantbesuch mit der Familie, ein Stück Kuchen und Kaffee bei einem Ausflug, ein Getränk mit Freunden im Biergarten oder der Kneipe, das Einchecken der Familie im Hotel bei einem Wochenendtrip. Das war die Hundertausendfach geübte Realität im Gastgewerbe. Vor Corona.
Und so wird es bleiben – nur mit weniger Gästen, wenn die Lockerungen kommen. Lockerungen mit Abstandsregelungen, erhöhten Hygiene- und Registrierungsanforderungen bedeuten in der Praxis unserer Betriebe erst einmal: Wegfall der Hälfte der Plätze, andere Atmosphäre, mehr personeller und organisatorischer Aufwand. Plus geändertes Gästeverhalten aufgrund von Unsicherheit und weniger Kaufkraft. Betriebswirtschaftlich übersetzt: Die Umsatzausfälle nach einer Lockerung werden nicht mehr zwischen 90 -100 Prozent liegen, sondern dann „nur noch“ zwischen 50 - 80 Prozent, bei – wohlgemerkt – wieder höheren Ausgaben. Unsere Gastronomen, Caterer und Hoteliers gehen davon aus, dass sie bei reduzierten Kosten trotzdem 70 Prozent ihrer bisherigen Umsätze erwirtschaften müssen, um den Betrieb erfolgreich hochfahren zu können. 70 Prozent? Wie soll das gehen?
Diese Aussichten, wahrscheinlich für viele Monate, sind der Grund, warum ein Rettungspaket, was auch die Phase nach den Lockerungen berücksichtigt, so wichtig ist.
Aber warum sollte sich die Politik gerade für das Gastgewerbe mit einem eigenen Rettungspaket so stark machen? Sind andere Branchen nicht auch betroffen? Sind sie. Aber erstens ist die Betroffenheit der Tourismuswirtschaft, deren wichtigster Leistungsträger Gastronomie und Hotellerie sind, besonders ausgeprägt. Daran gibt es keine ernsthaften Zweifel. Zweitens hätte eine „unterlassene Hilfeleistung“ die nachhaltige Zerstörung der gastgewerblichen Struktur zur Folge. Viele ehemals kerngesunde Betriebe ringen ums Überleben. Der Verlust von mindestens 15.000 Betrieben in Stadt und Land wird unsere gastronomische Landschaft grundsätzlich verändern. Viele Betriebe, die heute noch das Stadtbild prägen, das soziale Miteinander in Stadt und Land befördern, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen, würden auf Nimmer-Wieder-Eröffnet verschwinden. Es lohnt sich, für das Gastgewerbe zu kämpfen, weil es nicht nur system- und jobrelevant, sondern auch lebens- und sozialrelevant ist.