Von Armin Laschet
Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
Seit nunmehr gut einem Jahr bestimmt die Corona-Pandemie unser aller Leben, Arbeiten und Wirtschaften. Mit jedem Tag wachsen die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belastungen. Die Pandemie ringt uns allen große Opfer ab.
Unser aller Gesundheit zu schützen und Menschenleben zu retten sind wichtige Ziele in dieser Zeit. Voraussetzung hierfür ist es, das Infektionsgeschehen kontrollieren zu können sowie exponentiell anwachsende Infektionszahlen und die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Die Erfahrungen weltweit zeigen, dass dies vor allem durch die konsequente Minimierung sozialer Kontakte und die Einschränkung von Mobilität gelingt. Die umfassenden Maßnahmen, die Bund und Länder ergriffen haben, waren und sind daher richtig. Für die grundsätzliche Unterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie durch die Wirtschaft bin ich sehr dankbar. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland im internationalen Vergleich bisher gut durch diese Krise gekommen ist.
Von Anfang an war klar, dass diejenigen Unternehmen und Einrichtungen, die aufgrund der drastischen Einschränkungen auch des wirtschaftlichen Lebens die größten Opfer im Kampf gegen die Pandemie erbringen, auf die Solidarität der Gemeinschaft vertrauen können müssen. Im vergangenen Frühjahr haben Bund und Länder daher umfangreiche Soforthilfen unbürokratisch und schnell geleistet. Nordrhein-Westfalen hatte als erstes Land am letzten März-Wochenende 2020 das volldigitalisierte Antragsverfahren freigeschaltet, binnen nicht einmal einer Woche waren fast 300.000 Anträge bearbeitet und 2,3 Milliarden Euro ausgezahlt. Mit den Überbrückungshilfen konnte vielen Selbständigen und Unternehmern auch im Sommer und Herbst 2020 über eine schwierige Zeit geholfen werden. Das ist uns auch dank der soliden Finanzen in Bund und Land möglich gewesen. Auch im Herbst 2020 sollte rasch und unbürokratisch geholfen werden. Doch aufgrund massiver Probleme bei der Entwicklung der dafür erforderlichen IT-Plattform auf Bundesebene sowie bis zum heutigen Tage andauernder Unstimmigkeiten zwischen dem Bundesfinanz- und dem Bundeswirtschaftsministerium haben die November- und Dezemberhilfen ebenso wie die Überbrückungshilfe III lange auf sich warten lassen – viel zu lange. Viele Selbständige und Unternehmer haben die Wochen ohne Umsatz und Einkommen an den Rand der wirtschaftlichen Existenz und auch zur Verzweiflung geführt. Viel Vertrauen in die Corona-Politik ist dadurch verloren gegangen. Wer als Bundesfinanzminister ankündigt, die „Bazooka“ auszupacken, der muss auch liefern und nicht, wenn es darauf ankommt, die zugesagten Unterstützungen blockieren.
Seit Mitte Februar kommt die Unterstützung nun endlich bei den Unternehmen an. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat auf seinem Wirtschaftsgipfel weitere Unterstützung zugesagt. Etwa einen Härtefallfonds für jene Unternehmen, die bisher durchs Raster gefallen sind.
Doch staatliche Unterstützung kann keine Dauerlösung sein. Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer wollen und können nicht dauerhaft von staatlichen Hilfen abhängig sein. Sie wollen ihre Betriebe wieder öffnen. Für viele wird dies nach Monaten der Schließung und angesichts weiterhin großer Unsicherheit vieler Kundinnen und Kunden sowie der Erschwernisse im internationalen Warenverkehr mit harter Aufbauarbeit verbunden sein. Für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen war und ist immer klar gewesen: Wenn die Infektionszahlen sinken, müssen auch die Grundrechtseingriffe zurückgenommen werden. Seit Anfang des Jahres hatte das Infektionsgeschehen langsam aber stetig abgenommen, die nochmals Mitte Dezember verschärften Maßnahmen wirkten sich endlich aus. Noch vor wenigen Tagen war in Nordrhein-Westfalen eine 7-Tages-Inzidenz von 50 in greifbarer Nähe. Allerdings: Seitdem steigen die Zahlen der Neuinfektionen wieder leicht an, der Rückgang ist zum Erliegen gekommen. Angesichts der Unsicherheiten, die mit den noch ansteckenderen Virus-Mutationen verbunden sind, ist Vorsicht geboten. Niemandem wäre geholfen, wenn wir vorschnell Öffnungen zuließen und in wenigen Wochen wieder exponentiell steigende Infektionszahlen verzeichnen würden und dadurch gezwungen wären, erneut weitreichende Beschränkungen umzusetzen. Die Entwicklungen in vielen europäischen Ländern, in denen gerade wieder deutliche Verschärfungen beschlossen worden sind, sollten uns Mahnung sein.
„Niemandem wäre geholfen, wenn wir vorschnell Öffnungen zuließen und in wenigen Wochen wieder exponentiell steigende Infektionszahlen verzeichnen würden und dadurch gezwungen wären, erneut weitreichende Beschränkungen umzusetzen.“
Gleichwohl: Nach vier Monaten des Lockdowns brauchen die Menschen, brauchen die Unternehmen Perspektiven. Die gesunkenen Infektionszahlen, die tagtäglichen zehntausendfachen Impfungen der besonders gefährdeten Risikogruppen, die jetzt endlich mehr und mehr verfügbaren Impfstoffmengen ebenso wie die zunehmende Verfügbarkeit von Schnell- und bald auch von Selbsttests sowie die Aussicht auf mildere Temperaturen schaffen Möglichkeiten, Schritt für Schritt zu einer verantwortungsvollen Normalität zurückzukehren. Die Kitas und Schulen konnten als erste vorsichtige Öffnungsschritte gehen. Die Friseurbetriebe folgen am heutigen 1. März. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass zeitnah weitere Schritte folgen können. Darüber werden wir am Mittwoch (3. März) in der Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin beraten. Und ich bin sicher, dass es uns gelingen wird, trotz der weiterhin sehr angespannten und fragilen Lage einen Pfad zu vereinbaren, der auch und gerade den so besonders von den Einschränkungen betroffenen Branchen wieder eine Perspektive aufzeigt.
Die Pandemie hat uns aber auch vor Augen geführt, wie leistungsfähig die Soziale Marktwirtschaft ist und wie innovativ die Unternehmen und Gründer in unserem Land sind. Ich denke hier zum Beispiel an Özlem Türeci und Uğur Şahin, die Gründer von BioNTech. Sie haben mit ihrer innovativen Forschung in Rekordzeit einen Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelt. Dieser und die weiteren zugelassenen Impfstoffe geben Hoffnung, dass wir die Pandemie bald überwinden.
Mut und Zuversicht, vor allem aber Tatendrang und Risikobereitschaft haben diese innovative Forschung möglich gemacht. Und genau diese Eigenschaften zeichnen auch die Unternehmerinnen und Unternehmer in Nordrhein-Westfalen aus. Deshalb bin ich sicher, dass wir die vielen vor uns liegenden Herausforderungen – neben der Pandemiebekämpfung insbesondere die forcierte Digitalisierung und die klimaneutrale Ausrichtung unserer Produktionsprozesse unter Beibehaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie – erfolgreich meistern werden. Die Landesregierung sieht sich in all diesen Fragen als Partner der heimischen Wirtschaft. Mit unserer Digitalstrategie, mit bereits fünf Entfesselungspaketen, unserer Investitionsoffensive in Breitbandausbau und Infrastruktur sowie vielen weiteren Maßnahmen leisten wir unseren Beitrag für ein auch in Zukunft erfolgreiches Nordrhein-Westfalen.
Heute gilt es, gemeinsam den Blick in die Zukunft zu richten. Die Pandemie hat vorhandene Defizite wie unter einem Brennglas aufgezeigt – etwa in der Digitalisierung der Bildung und der öffentlichen Verwaltung sowie bei der digitalen Infrastruktur. Hier müssen wir besser werden – und zwar rasch. Und die Unternehmen brauchen für den Neustart optimale Rahmenbedingungen und keine neuen Belastungen. Deshalb hat die Landesregierung umfangreiche Vorschläge für ein Belastungsmoratorium und Bürokratieabbau auf Bundesebene unterbreitet. Auf Landesebene werden weitere Entfesselungspakete folgen. Gleichzeitig braucht es Impulse für eine grundlegende Erneuerung unseres Landes – insbesondere mit Blick auf Digitalisierung und die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie. Unsere eigenen ehrgeizigen Ziele werden wir nur erreichen und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft nur dann erhalten können, wenn wir auf Innovation und neue Technologien setzen – etwa Künstliche Intelligenz und Wasserstoff. Deutschland und Nordrhein-Westfalen müssen sich an die Spitze der Bewegung setzen und die 20er Jahre zu einem Modernisierungsjahrzehnt machen. Genau dafür werde ich mich weiter engagieren!