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Vernetzen, verzahnen, verbessern

Von Thomas Wessel

Personalvorstand und Arbeitsdirektor von Evonik Industries

Thomas Wessel, Personalvorstand und Arbeitsdirektor von Evonik Industries, benennt Ansätze gegen den Nachwuchskräftemangel.

So sicher wie „Dinner for One“ zu Silvester, so sicher ist die jährlich wiederkehrende Diskussion über unbesetzte Ausbildungsplätze und zu wenige Bewerberinnen und Bewerber: Wenn die Zahlen für das neue Ausbildungsjahr vorliegen, manifestiert sich öffentlich Besorgnis. Denn es ist offenkundig: Die demografische Entwicklung und das große Interesse an einer akademischen Ausbildung haben der klassischen Berufsausbildung kräftig zugesetzt. Einfach auf bessere Zeiten oder digitale, technische Entlastungen zu hoffen, wird nicht reichen. Denn bei Ausbildung und beruflicher Qualifikation geht es auch immer um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes, um das Wohlstandsniveau in unserem Land und um persönliche Perspektiven junger Menschen.

Wir brauchen nach wie vor eben auch bestens ausgebildete Hochschulabsolventinnen und -absolventen

Die Zahl der Studierenden in Deutschland ist in den vergangenen zwanzig Jahren von rund 1,9 Millionen auf fast 3 Millionen gestiegen. Gleichzeitig hat die Zahl der Auszubildenden von knapp 1,7 Millionen auf rund 1,3 Millionen abgenommen. Vor zwei Jahren verzeichnete Deutschland außerdem eine Premiere: Erstmals überhaupt starteten bei uns mehr Menschen ein Studium als eine Berufsausbildung. Das ist die Lage.

Wer angesichts dieser Entwicklung von einer zu starken Akademisierung in Deutschland klagt, liegt allerdings falsch. Denn wir brauchen nach wie vor eben auch bestens ausgebildete Hochschulabsolventinnen und -absolventen, um unsere Position im internationalen Wettbewerb zu sichern. Unsere Stärke im Export, unser guter Ruf als Anbieter mit Spitzenqualität „Made in Germany“ ist ohne hervorragend qualifizierte Ingenieure und Naturwissenschaftlerinnen nicht zu halten. Tatsache ist außerdem, dass Deutschland in den vergangenen Jahren beim Akademisierungsgrad eher auf- und nachgeholt hat – hin zu den Prozentwerten vergleichbarer Industrieländer. Mittlerweile hat sich der Hochschulzulauf bei uns auch eher stabilisiert. Dafür tut sich an anderer Stelle neue Konkurrenz für die duale Berufsausbildung auf: Junge Menschen haben derzeit ein verstärktes Interesse an einer Tätigkeit im Bereich Bildung und Gesundheit. Der Weg dorthin führt häufig über eine fachliche schulische Ausbildung. Die Schwierigkeiten, für die klassische Berufsausbildung genügend Auszubildende zu gewinnen, sind somit nicht neu - sie stehen aber in komplexerem Kontext.

Die duale berufliche Ausbildung ist kein Plan B

Wir haben in Deutschland zu lange die akademische Ausbildung als höchstes Ziel und besten Weg für Aufstieg, Karriere und Einkommen gesehen. Das ist heute falsch. Denn auch, wenn es bisher vielleicht erst auf den zweiten Blick klar geworden ist: Die duale berufliche Ausbildung ist kein Plan B, sondern bietet sich 2022 ebenfalls als erstklassiges Sprungbrett für berufliche Karriere, sozialen Aufstieg und überdurchschnittliches Einkommen an.

Denn die Aufgaben am Arbeitsplatz erfordern heute mehr denn je beides: Kopf und Hand. Fundiertes Wissen und ausgeprägtes Können. Mitdenken und Anpacken. Teamarbeit und Spezialisten. Das macht zugleich deutlich, wie wenig uns ein aggressiver Wettbewerb zwischen akademischen und beruflichen Ausbildungswegen weiterhelfen würde. Denn wir müssen die Gewinnung von genügend Nachwuchs in beiden Bereichen meistern. Den Mangel zu verschieben, ist keine Lösung.

Was hingegen helfen könnte, wäre eine deutlich stärkere Durchlässigkeit und Vernetzung der beiden Systeme. Duale Studiengänge sind dafür ein wichtiger Ansatz. Eine intensivere Verzahnung von praktischer Berufsausbildung und Studium bietet die Chance, Arbeitsziele miteinander effizienter zu erreichen. Auch das wirkt dem allgemeinen Mangel an Nachwuchs- und Fachkräften entgegen.

Das Thema Nachwachwuchskräfte gehört permanent auf den Schirm

Darüber hinaus sind Angebote zu modularem Lernen, für Zusatzqualifikationen und für die permanente Modernisierung bereits erworbener beruflicher Fachkenntnisse sinnvoll. Außerdem muss sich Deutschland klug dafür öffnen, talentierten jungen Menschen und Nachwuchskräften aus dem Ausland bessere Möglichkeiten für Beruf und Karriere zu bieten. Nicht nachlassen dürfen wir bei unseren Anstrengungen, im eigenen Land junge Menschen ausbildungsreif zu machen, die noch nicht alle notwendigen Voraussetzungen dafür mitbringen. Nur ein Bündel von Maßnahmen bietet die Chance, die negativen Auswirkungen unseres Nachwuchskräftemangels abzufangen. Denn die eine, allumfassende Lösung gibt es nicht.

Als es vor Jahren darum ging, Jugendliche bei der Suche nach raren Ausbildungsplätzen zu unterstützen, haben die gemeinsamen Anstrengungen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geholfen. Das muss uns nun unter veränderten Vorzeichen wieder gelingen - trotz aller enormen Herausforderungen und globalen Krisen. Das Thema Nachwachwuchskräfte gehört daher permanent auf den Schirm, anders als „Dinner for One“.

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