Die Ökonomie von Gut und Böse – so heißt ein Buch des tschechischen Nationalökonomen Tomás Sedlácek, das vor einigen Jahren erschienen ist. Sedlacek entfaltet darin eine Ideengeschichte der Ökonomie und spannt den Bogen vom Gilgamesch-Epos über die Antike und die Bibel, über die Aufklärung und Adam Smith bis hin zu aktuellen wirtschaftspolitischen und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen angesichts heutiger Wirtschaftskrisen.
Ein Kapitel befasst sich mit dem Christentum und der Ökonomie. Sedlácek weist darauf hin, dass 19 der 30 Gleichnisse im Neuen Testament einen wirtschaftlichen Bezug haben – wie das Gleichnis von der verlorenen Drachme, das von den Talenten, die Parabel vom unbarmherzigen Gläubiger oder die Erzählung von den Arbeitern im Weinberg. Jesus erläutert seine Botschaft, sein Evangelium, und bedient sich Vergleichen aus dem Wirtschaftsleben. Auch wenn es ihm letztlich um ewige und nicht um irdische Güter geht, wird daran auch deutlich, wie man gut mit den irdischen Gütern umgeht, wie man in jeder Hinsicht gut wirtschaftet.
Dabei geht das Christentum vom Menschen aus, von dem es ein sehr realistisches Bild hat: Der Mensch ist im Grunde gut, neigt aber manchmal dazu, Böses zu tun. Er ist eine individuelle Persönlichkeit und zugleich immer auf andere angewiesen – er ist Individuum und Sozialwesen. Daraus leiten sich die Anforderungen für einen guten Staat und für eine gute Wirtschaftsordnung ab.
Der Staat muss so verfasst sein, dass er die Würde des Einzelnen schützt und ihm die wesentlichen Grundrechte garantiert, die er braucht, um seine Persönlichkeit zu entfalten. Zugleich muss der Staat den Einzelnen in die Pflicht und in die Verantwortung nehmen, damit er etwas zur Gemeinschaft beiträgt und dem Gemeinwohl dient. Dazu bedarf es Regeln – denn der Mensch ist eben nicht nur gut.
Gleiches gilt für die Wirtschaft: Auch sie muss eingehegt werden, indem Freiheit und Verantwortung in ein Gleichgewicht gebracht werden. Die katholische Soziallehre hat dazu im 19. Jahrhundert drei Prinzipien formuliert, die auch heute noch Grundpfeiler eines Wirtschaftssystems sind, das von Freiheit, Verantwortung und Gerechtigkeit geprägt ist und das in der Sozialen Marktwirtschaft zum Ausdruck kommt. Das erste Prinzip ist die Personalität, die unterstreicht, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, dass die Wirtschaft dem Menschen und nicht der Mensch der Wirtschaft dienen muss. Das zweite Prinzip, die Subsidiarität, traut dem Einzelnen und der kleinen Gemeinschaft etwas zu. Es geht darum, Zuständigkeiten und Verantwortung von der größeren auf die kleinere Einheit zu delegieren – im Staat wie in der Wirtschaft. Aufgaben sollen dort erledigt und Probleme da angegangen werden, wo sie anfallen. Erst wenn der Einzelnen nicht dazu in der Lage ist, seiner Eigenverantwortung nachzukommen, greift das dritte Prinzip, die Solidarität, die dafür sorgt, dass die Gemeinschaft den Einzelnen unterstützt, wenn er nicht mehr für sich selbst sorgen kann. Und weil jeder in diese Situation kommen kann, ist jeder verpflichtet, sich daran zu beteiligen, solidarisch zu sein.
Der Staat muss so verfasst sein, dass er die Würde des Einzelnen schützt und ihm die wesentlichen Grundrechte garantiert, die er braucht, um seine Persönlichkeit zu entfalten. Zugleich muss der Staat den Einzelnen in die Pflicht und in die Verantwortung nehmen, damit er etwas zur Gemeinschaft beiträgt und dem Gemeinwohl dient.
In einer schwierigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage, wie wir sie derzeit erleben, mag die Solidarität im Vordergrund stehen: Unser Gesundheitssystem und die Sorge für diejenigen, die wirtschaftlich besonders von der Krise betroffen sind, funktionieren nur solidarisch. Die beiden anderen Prinzipien – die Personalität und die Subsidiarität – dürfen aber nicht ganz in den Hintergrund rücken. Gerade in Krisen ist es wichtig, dem Einzelnen und der kleineren Einheit etwas zuzutrauen. Ein gutes Risikomanagement – staatlich wie wirtschaftlich – wägt die unterschiedlichen Güter ab, setzt Grenzen und lässt Eigenverantwortung zu. So können Menschen ermutigt werden, auch in einer schwierigen Situation nicht nur gut zu handeln, sondern auch gut zu wirtschaften.