Noch vor wenigen Wochen habe ich mit größter Sorge auf die in diesem Jahr stattfindenden Wahlen im Bund und in NRW geblickt. Mit dem Schüren von Ängsten, dem Spielen mit Ressentiments, dem gezielten Einsatz von Provokationen und Tabubrüchen sowie dem Aufbau einer Anti-Establishment-Stimmung bestimmte die AfD die politische Agenda und wirkte als Antreiber für Themen und Debatten. Es stand zu befürchten, dass dieses Agenda-Setting zu einem Wahlkampf führt, der durch ein Überbieten von Renationalisierungs-, Ausgrenzungs- und Repressionsvorschlägen geprägt sein würde.
Das hat sich in den vergangenen acht bis zehn Wochen in kürzester Zeit verändert. Zum einen ist das sicher der abschreckenden Wirkung des extremen US-Populisten Donald Trump zu verdanken. Die bürgerlichen Wähler und Sympathisanten der AfD, denen Recht und Ordnung wichtig sind, sind abgestoßen von der Grobheit und der Verhöhnung von Anstand und Diplomatie, die Trump auszeichnet. Es fand aber auch eine innenpolitische Eruption statt. Der Auftritt des Kanzlerkandidaten der SPD war nicht nur ein demoskopisches Erdbeben, es hat vor allem auch den Effekt, dass sich die Wahlkämpfe – so zeichnet es sich gerade ab – nicht ausschließlich mit den Themen Flüchtlingspolitik, Sicherheit und Ausgrenzung beschäftigt, sondern mit Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe, Arbeitsmarktpolitik, sozialer Gerechtigkeit und einem positiven Bild von Europa. Dieser plötzliche Hype, der wieder zeigt, wie schnell sich in einer gereizten Gesellschaft die Dinge ändern können, kann irritieren. Aber dieser Themenschwenk, der mit der Personalentscheidung der SPD verbunden ist, ist aus meiner Sicht nur zu begrüßen. Es geht darum, was unsere Arbeitsgesellschaft, unsere Branchen, Sektoren und Betriebe die nächsten Jahre massiv verändern wird. Klimaregulation und Umweltregulation, mit all ihren Auswirkungen auf unsere Branchen, die Frage der globalisierten Wertschöpfungsketten, die Digitalisierung der Produkte und Prozesse, die Demografie, all diese Treiber von Veränderungen treffen auf eine Gesellschaft, die ungerecht ist und auch als ungerecht empfunden wird.
Es ist unsere Aufgabe als IG Metall und es ist die Aufgabe aller, die politische Verantwortung in diesem Land tragen, den Menschen in diesen Veränderungen Verlässlichkeit und Sicherheiten zu geben, damit dieser Wandel, eben nicht in die Ungerechtigkeit und zu einem Auseinanderfallen der Gesellschaft führt, sondern zu menschengerechter Erneuerung.
Dabei ist eines sicher: In diesem Strukturwandel ist keine Sicherheit gegeben, wenn ich keinen sicheren Arbeitsplatz habe. Damit niemand abgehängt wird, braucht es bundesweit und in NRW einen gut aufgestellten sozialen Arbeitsmarkt, der unbefristete Beschäftigung ermöglicht. Denn obwohl die Zahl der sozialversichert Beschäftigten in NRW steigt, bleiben viele Probleme auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Sachgrundlose Befristungen abschaffen, Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen, die Verpflichtung zur Beschäftigungssicherung: Das sind Voraussetzungen für Sicherheit im strukturellen Wandel. Auch das Arbeitslosengeld I ist wichtig. Aber noch wichtiger ist es, dass in den Betrieben die Perspektive der Veränderung geschaffen wird, dass es dort mehr Demokratie und Mitbestimmung gibt, damit Beschäftigte und Arbeitgeber auf Augenhöhe den Wandel gestalten. Konkret geht es um die Verpflichtung zur Personalentwicklung, um Initiativrechte des Betriebsrats bei Weiterbildung, es geht um gangbare Weiterbildungsmaßnahmen, was Zeit und Geld angeht, es geht um institutionelle Angebote an Berufsschulen, Hochschulen, für berufsbegleitende Fortbildung und vieles, vieles andere.
Die IG Metall wird alles dafür tun, dass die Themen und die Debatte um Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft weiter im Mittelpunkt der Wahlkampfauseinandersetzung bleiben.