Der NRW-Wirtschaftsblog
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im Westen

Warum wir in Zukunft mehr arbeiten müssen

Von Holger Schäfer

Senior Economist - Themencluster Arbeitswelt & Tarifpolitik – beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Im Blog schreibt IW-Experte Holger Schäfer über Wege, dem Arbeitskräftemangel entgegenzutreten.

Seit jeher strebt die Menschheit danach, weniger arbeiten zu müssen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir menschliche Arbeit brauchen, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren. Die Fabrik, die eigenständig und ohne unser Zutun alles produziert, was wir konsumieren wollen, bleibt eine Utopie.

Deutschland steht in den kommenden Jahren vor der Herausforderung, dass Arbeitskräfte knapper werden. Geburtenstarke Jahrgänge erreichen das Rentenalter und müssen durch Jahrgänge ersetzt werden, die zum Teil nur halb so stark besetzt sind. Der mit 1,4 Millionen zahlenmäßig stärkste Jahrgang 1964 geht spätestens 2031 in Rente und muss durch Jahrgänge ersetzt werden, die nur 600.000 bis 700.000 Personen zählen. Diese Entwicklung liegt nicht mehr in weiter Ferne, sondern steht unmittelbar bevor. Die Zeit, darauf zu reagieren, ist äußerst knapp bemessen.

Zuwanderung als einzige Möglichkeit, das Erwerbspersonenpotenzial kurzfristig zu erhöhen

Manche Hoffnung ruht darauf, dass wir dank Digitalisierung so viel produktiver werden, dass die demografische Schrumpfung nicht weiter ins Gewicht fällt. Das ist nicht vollkommen auszuschließen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt allerdings, dass trotz arbeitssparenden technischen Fortschritts das Produktivitätswachstum nicht zunimmt, sondern im Trend sogar sinkt. Im Durchschnitt der letzten 10 Jahre lag das Wachstum der Stundenproduktivität unter einem Prozent im Jahr, im vergangenen Jahr ging sie sogar zurück. Eine Ursache: Neue Technologien ersetzen zwar menschliche Arbeit, bringen aber auch neue Produkte hervor, für deren Herstellung Arbeit erforderlich ist: Dank Technologie wird das Fräulein vom Amt nicht mehr benötigt, um eine telefonische Verbindung herzustellen. Dafür werden Menschen gebraucht, die Apps für Handys programmieren.

Zur Kompensation der demografischen Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials bleiben die Möglichkeiten, a) das Potenzial zu erweitern und b) es besser auszuschöpfen. Die einzige Möglichkeit kurzfristig das Erwerbspersonenpotenzial zu erhöhen, liegt in der Zuwanderung. Zurzeit ist sie hoch genug, um die aktuelle und künftige Arbeitskräfteknappheit zu kompensieren. Aber ob das auch zukünftig gelingt, ist nicht sicher – zumal die derzeit dominierende Zuwanderung aus humanitären Gründen höhere Hürden für die Arbeitsmarktintegration aufbaut als eine dezidiert arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung.

Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen

Das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen, ließe sich auf zwei Wegen erreichen. Erstens brauchen wir eine höhere Erwerbsbeteiligung – also einen höheren Anteil der Bevölkerung, der am Arbeitsmarkt teilnimmt. Infrage kommen etwa Frauen oder Ältere. Im europäischen Vergleich liegen wir in dieser Hinsicht allerdings bereits weit vorn. Ein weiteres Problem: Der Entscheidung, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, liegen oft persönliche, teils kulturell bedingte Präferenzen zugrunde, die sich kaum von heute auf morgen ändern lassen – selbst wenn man wüsste, wie das zu bewerkstelligen ist. Ein Ausbau der Kinderbetreuung wäre aber zumindest ein Schritt, Frauen in stärkerem Maße die Aufnahme einer Arbeit zu erleichtern.

Zweitens müssten die Menschen, die bereits erwerbstätig sind, ihre Arbeitszeit ausweiten. Deutschland schöpft im Vergleich zu anderen Ländern sein Arbeitskräftepotenzial vor allem deshalb so schlecht aus, weil die durchschnittliche Arbeitszeit – nicht nur, aber auch aufgrund eines hohen Teilzeitanteils – sehr kurz ist. Nun verhandeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer eigenständig und autonom über Arbeitszeiten. Unglücklicherweise neigen Erwerbstätige eher zu dem Wunsch, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Die Diskussion um die Viertagewoche illustriert das Dilemma eindrücklich. Die individuelle Verkürzung der Arbeitszeit liegt in der Entscheidung des Einzelnen, führt aber gesamtwirtschaftlich zu dem Problem, dass es an vielen Stellen an Arbeitskräften mangelt, um die Dinge herzustellen, die wir gerne konsumieren möchten. Um die Konsumwünsche zu erfüllen, wäre eigentlich eine Sechstagewoche erforderlich. Die Politik kann trotzdem agieren, indem sie Rahmenbedingungen schafft, unter denen eine Ausweitung der individuellen Arbeitszeit attraktiv wird.

Gelingt es in den wenigen verbleibenden Jahren nicht, diese Weichenstellungen vorzunehmen, drohen Wohlstandsverluste. Diese schmerzen umso mehr, als dass die Erwerbstätigen nicht nur Waren und Dienstleistungen für ihre eigenen Konsumwünsche produzieren, sondern auch für den wachsenden Teil der Bevölkerung, der nicht arbeitet. Alles – auch das, was wir für soziale Zwecke umverteilen wollen – muss zuvor mit menschlicher Arbeit hergestellt werden. Aus Wohlstandsverlusten resultieren sonst direkt neue Verteilungskonflikte.

Über den Autor
Holger Schäfer

Senior Economist - Themencluster Arbeitswelt & Tarifpolitik – beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln

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