Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Zukunftsfrage Fachkräfte

Von Ina Brandes

Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

Ina Brandes, NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft, zur Fachkräfteoffensive NRW: Mehr Duales Studium, mehr Talentförderung, mehr Beratung!

Die Herausforderung, mehr Fachkräfte für unsere Unternehmen und Betriebe zu gewinnen, ist so alt wie komplex. Und: So komplex das Problem, so schnell der Reflex, mit dem Finger auf andere zu zeigen, von denen wir die Lösung des Problems erwarten und einfordern. Doch für eine Schuldzuweisungsdebatte ist die Fachkräfte-Frage viel zu wichtig. Es ist DIE entscheidende Zukunftsfrage, ob wir unseren Wohlstand und unsere soziale Sicherheit werden halten und mehren können.

Als Geschäftsführerin eines Unternehmens habe ich gelernt, komplexe Herausforderungen so lange zu zerlegen, bis sie beherrschbar sind. So machen wir es auch mit der Frage nach mehr Fachkräften. Wir schauen uns die gesamte individuelle Bildungsbiographie an und sehen, wo Entscheidungspunkte und Bruchkanten sind, für die junge Menschen Unterstützung brauchen.

Meine Aufgabe ist dabei der akademische Teil, mein Kollege Arbeitsminister Karl-Josef Laumann kümmert sich um die berufliche Ausbildung. Gemeinsam versuchen wir im Rahmen der Fachkräfteoffensive NRW Durchlässigkeiten in beide Richtungen weiter zu verbessern, denn wir sind uns einig, dass akademische und berufliche Ausbildung gleichwertig und gleich wichtig ist. Wir brauchen über die gesamte Bandbreite hinweg gut ausgebildete Fachkräfte in technischen Berufen.

MEHR MINT!

Wir erleben leider einen eklatanten Mangel an Interesse an den sogenannten MINT-Fächern. Das liegt vor allem daran, dass sich eine Hälfte der Gesellschaft, nämlich die Frauen, viel zu selten für ein Studium oder eine Ausbildung in der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik entscheidet. Aber: Wer die Welt retten will, kann das mit einer MINT-Ausbildung schaffen und nicht als Klimakleber auf der Straße. Gleichwohl ist MINT nicht in Mode. In Nordrhein-Westfalen haben wir deshalb mit 100 zdi-Laboren und 5.000 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Schule und Politik ein gut funktionierendes Instrument geschaffen, junge Menschen für technische Berufe zu begeistern. In zdi-Schüler-Laboren werden naturwissenschaftliche Phänomene im Wortsinn begreifbar. Engagierte und erfahrene Fachleute machen jungen Menschen Lust auf technische Zusammenhänge, für die im Schulalltag oft die Zeit und die Ressourcen fehlen.

BESSERE BERATUNG!

Viele Jugendliche brauchen inzwischen ein Jahr, um sich für eine Ausbildung oder ein Studium zu entscheiden. Früher war das Jahr gerade bei den Jungs bei der Bundeswehr und im Zivildienst gut investierte Zeit. Heute findet dieses Jahr einfach so statt – ein Jahr länger, in dem die jungen Menschen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Zudem wissen wir von den Hochschulen, dass jungen Menschen trotz Abitur häufig die Studierfähigkeit fehlt. Das kann man beweinen, doch wir sollten uns zu allererst überlegen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen und das Problem lösen.

Die Hochschulen haben deshalb Konzepte für ein vorgeschaltetes 0. Semester erarbeitet, in dem Grundwissen für einen erfolgreichen Studienstart vermittelt wird. Und die Studierenden bekommen Orientierungsstudiengänge angeboten. Dort können sie herausfinden, welche Fachrichtung ihren Neigungen, Talenten und Fähigkeiten am besten entspricht. Begleitet wird das von einem umfangreichen Beratungsangebot, das wir immer weiter ausbauen.

KEINE ANGST VOR UMWEGEN!

In einigen ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen brechen 30 bis 50 Prozent der Studierenden ihr Studium ab. Das kostet den Steuerzahler viel Geld, bringt der Volkswirtschaft keinen Nutzen und ist nicht zuletzt für die jungen Menschen eine schmerzhafte Erfahrung des Scheiterns. Drei Gründe, warum wir dringend daran arbeiten müssen, die Abbrecherquote zu senken.

Mit unserem Programm „Next Career“ fahren wir mehrgleisig. Studierende, die an ihrer Studienwahl zweifeln, werden ebenso beraten wie solche, die den Anforderungen des Studiums nicht gewachsen sind. Ziel der Beratung ist es – auch in Zusammenarbeit mit Kammern, Verbänden und der Agentur für Arbeit –Studierende so zu unterstützen, dass sie möglichst schnell einen erfolgreichen (Aus-)Bildungsweg zum Beispiel in einer MINT-Fachrichtung einschlagen beziehungsweise fortsetzen. Denn viel zu oft erleben wir, dass Abbrecher und Zweifler nach ihrem ingenieurwissenschaftlichen Studium eine völlig andere Fachrichtung einschlagen und für MINT-Berufe verloren sind. „Next Career“ nimmt die Angst vor Umwegen – wenn sie zu einem guten Ziel führen.

MEHR DUALES STUDIUM!

Ein weiteres probates Mittel, die Abbrecherquoten signifikant zu senken sind Duale Studiengänge. Wir brauchen mehr davon!

Als Geschäftsführerin habe ich selbst erfahren, dass der effizienteste Weg, Fachkräfte zu gewinnen ist, sie selbst auszubilden. Der Vorteil: Dual Studierende stehen dem Unternehmen sofort zur Verfügung, weil sie die Hälfte der Zeit im Betrieb verbringen. Zudem haben sie eine starke Bindung ans Unternehmen, weil sie wissen, dass sie bei guten Leistungen nach der Ausbildung im Unternehmen bleiben. Es fällt den Studentinnen und Studenten ganz offensichtlich leichter, sich durch die anspruchsvollen Etappen des Studiums zu kämpfen, wenn sie wissen: Hier ist mein Arbeitsplatz! Das sind meine Kolleginnen und Kollegen! Hier möchte ich auch bleiben! Dafür lohnt jede Anstrengung!

Wir sind dabei, das Hochschulgesetz zu ändern, um den Hochschulen mehr Klarheit und Sicherheit zu geben, duale Studiengänge einzurichten. Besonders kleine Unternehmen brauchen Unterstützung, um die Bürokratie zu beherrschen. Daher mein Appell an alle Unternehmen und Wirtschaftstreibenden, mit uns zusammenzuarbeiten, vor allen Dingen mit den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Wenn wir einen engen Dialog führen und miteinander sprechen, welche Bedarfe es eigentlich gibt, dann können wir als Hochschullandschaft gut und zügig reagieren.

WEITERBILDUNG LEBENSLANG!

Die Zeiten, in denen Fachkräfte mit Wissen aus dem Studium 40 Jahre durchs Berufsleben kommen, sind lange vorbei. Die akademische Fortbildung muss anspruchsvoller werden – gerade auch im Hinblick auf Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Dafür sind unsere Hochschulen, ganz besonders die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, der natürliche Partner. Für die Hochschulen ist das eine Riesen-Umstellung, weil das ganze Geschäftsmodell bislang vorsieht, junge Menschen auszubilden, zu forschen und den Transfer in die Wirtschaft zu leisten. Aber völlig klar ist: Wir brauchen die Hochschulen für die gesamte Weiterbildung.

TURBO FÜR TALENTE!

Ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt, und das sehr viele der oben aufgeführten Aspekte verbindet und gerade deshalb so erfolgreich ist, ist das Talentscouting. Als Wissenschaftsministerium geben wir den Hochschulen Geld, um Talentscouts auszubilden, die in alle Gymnasien und Berufskollegs gehen. Dort sprechen sie mit allen jungen Menschen, die unsicher sind, wie es nach der Schule weitergeht, oder die von Lehrerinnen und Lehrern empfohlen werden, weil sie mit guten Leistungen glänzen, aber vielleicht zuhause wenig Unterstützung bekommen. Häufig sind es Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die Unterstützung brauchen, um unser Ausbildungssystem zu verstehen.

Die Talentscouts sind feste Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner und unterstützen die Talente ganz individuell. Der Erfolg ist messbar: Deutlich mehr junge Menschen aus Akademiker-Haushalten machen eine Ausbildung, und deutlich mehr Menschen aus Nicht-Akademiker-Haushalten studieren. Talentscouts gelingt es also die unsichtbaren aber real existierenden Barrieren, die automatisch von Eltern oder vom Umfeld eingeprägt sind, aufzubrechen. Die Abbrecherquoten sind anschließend sehr viel niedriger, und die eigene Zufriedenheit sehr, sehr hoch. 20.000 Schülerinnen und Schüler sind bislang an 400 Schulen in einem kontinuierlichen Beratungsprozess.

Wir haben das Programm jüngst auf 600 Schulen ausgeweitet. Ziel ist, bis zum Ende der Legislatur an allen Gymnasien und Berufskollegs dieses Angebot zu machen, um auf diese Weise sicherzustellen, dass junge Menschen, die sonst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwo falsch abgebogen wären, professionell begleitet werden. Es geht mir nicht darum, dass sie auf jeden Fall studieren sollen. Mir geht es darum, dass sie eine vernünftige Ausbildung bekommen, eine zu ihren Talenten und Fähigkeiten passende Karriere einschlagen und so einen wertvollen Beitrag in unseren Unternehmen für den Wohlstand unseres Landes leisten.

Über die Autorin
Ina Brandes

Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

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