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im Westen

Zur Zukunft der beruflichen Bildung in NRW

Von Dr. Hans-Peter Klös

Bis 2022 Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Dr. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln, nennt zehn Leitplanken zur Stärkung der beruflichen Bildung

Der Koalitionsvertrag in NRW steht. Zur beruflichen Bildung enthält er ein überaus ehrgeiziges Ziel: „Für uns sind die akademische und die berufliche Bildung gleichwertig. Insbesondere mit Blick auf den aktuellen Fachkräftebedarf werden wir die duale Ausbildung und die Berufsschulen stärken. Gemeinsam mit der Wirtschaft, den Sozialpartnern und den Kammern wollen wir Nordrhein-Westfalen zum Berufsbildungsland Nummer eins machen.“

Das sind wahrlich hoch hängende Trauben: Im Jahr 2021 befanden sich in Nordrhein-Westfalen insgesamt rund 283.000 junge Menschen in einer dualen Ausbildung. Zehn Jahre zuvor waren es noch rund 326.000 – ein Rückgang von rund einem Siebtel in nur einer Dekade. Hauptgrund dafür ist die demografische Entwicklung: Die Zahl der jungen Menschen im Alter von 15 bis 20 Jahren – der Kernaltersgruppe der dualen Ausbildung - ging in etwa gleichem Umfang von 963.000 auf 855.000 zurück.

Eine Folge davon: Zwar zählt NRW noch nicht zu Spitzenreitern bei den regionalen Engpässen bei beruflich qualifizierten Fachkräften, doch steigt sowohl bundesweit wie auch NRW-weit die Fachkräftelücke bereits seit Beginn des Jahres 2021 kontinuierlich an und erreichte im März 2022 einen neuen Höchstwert. Und zu Beginn der Sommerferien gibt es in NRW mehr Ausbildungsplätze als Bewerber und Bewerberinnen: Aktuell stehen 50.650 offenen Ausbildungsstellen knapp 43.000 junge Menschen auf der Suche nach einer Ausbildung gegenüber.

Auch deshalb sind die Ankündigungen der neuen Landesregierung zu begrüßen: „Wir stärken die Attraktivität sowie die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Nur wenn die Menschen die Chancen nicht nur der akademischen, sondern gleichwertig die der beruflichen Bildung ergreifen, gelingt die Fachkräftesicherung, um Herausforderungen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Klimawandel und soziale Teilhabe begegnen zu können. Wir werden ressortübergreifend eine zukunftsweisende Gesamtstrategie zur Verbesserung der Kooperation von Betrieben, Berufsschulen und überbetrieblicher Ausbildung erarbeiten und umsetzen.“ Bei der Umsetzung dieses anspruchsvollen Ziels könnten die folgenden zehn Leitplanken vielleicht hilfreich sein:

1. Der digitale Wandel prägt die Arbeitswelt in allen Berufsfeldern fundamental und wird in Zukunft noch schneller voranschreiten. Digitale Kompetenzen – wie beispielsweise Digital Literacy, Digitale Interaktion, Kollaboration, Digital Learning – sind ein unverzichtbarer Bestandteil der beruflichen Bildung für eine moderne Arbeitswelt, um künftige Fachkräfte für ihre berufliche Tätigkeit zu qualifizieren.

2. Berufliche Bildung muss zum Impulsgeber für den schnellen Durchbruch neuester Erkenntnisse und Technologien in der Arbeitswelt werden. In einer zunehmend globalisierten Arbeitswelt muss auch die berufliche Bildung auf einen souveränen Umgang mit internationalen Geschäftsprozessen und Kontakten vorbereiten und kann dadurch weiter an Attraktivität gewinnen. Lebenslanges Lernen wird zu einer Voraussetzung für eine selbstbestimmte berufliche Entwicklung und eröffnet in jeder Lebensphase neue Aufstiegschancen.

3. Die inhaltliche, organisatorische und prozessuale Anpassung der beruflichen Bildung darf nicht ausschließlich pfadabhängig erfolgen. Eine strategische Qualifizierungsplanung sollte auf der Basis von Geschäftsszenarien erfolgen. Geschäftsmodell, Arbeitsorganisation und Kompetenzerwerb sind dabei als magisches Dreieck zu verstehen und sollten auch darauf hin betrachtet werden, ob und welche neuen oder veränderten Qualifizierungsbedarfe sich auch jenseits der dualen Ausbildung daraus ergeben.

4. Es braucht High-Speed für die digitale Berufsbildung. Der Investitionsbedarf in der digitalen Berufsbildung übersteigt die verfügbaren Mittel des Digitalpakts Schule schon heute. Schulträger dürfen nicht mit den laufenden Folgekosten für Nutzung und Wartung moderner Hard- und Software allein gelassen werden. Ein Pakt für berufsbildende Schulen sollte digitale Schulklassen ermöglichen, die Qualifizierung von Lehrkräften und Ausbilder/-innen vorantreiben und Schulen mit Lernfabriken, FabLabs und MakerSpaces zu Innovationstreibern für kleine und mittlere Unternehmen weiterentwickeln.

5. Es bedarf eines nachhaltigen Digitalisierungsschubs für die Berufsorientierung und die Ausbildung in Ausbildungsbetrieben. Ausbilderinnen und Ausbilder benötigen nicht nur fundiertes Fachwissen, sondern auch stark ausgeprägte Selbst- und Sozialkompetenzen, um die Ausbildung digital zukunftsfähig zu gestalten. Um den Umgang mit neuen Technologien vermitteln zu können, sollten die Ausbilderinnen und Ausbilder, Ausbildungsbeauftragte und Lehrkräfte an Berufsschulen über das entsprechende Know-how verfügen.

6. Berufsübergreifende Kompetenzen sind durch Generalisierung und Modularisierung zu stärken. Mit häufigeren Wechseln zwischen Berufen und Tätigkeitsprofilen werden berufsübergreifende Kompetenzen in der beruflichen Bildung immer wichtiger. Berufliche Kompetenzen sollten daher gestärkt und die Aus- und Weiterbildung modularer gestaltet werden, um spätere Wechsel zwischen beruflichen Tätigkeiten und Qualifikationen im weiteren Berufsleben zu vereinfachen. Die Ausgestaltung allgemeiner und berufsfeldspezifischer Ausbildungsmodule sollte mit den Ausbildungsordnungen anderer Berufe abgeglichen werden, um die horizontale Bildungsmobilität zu sichern.

7. Der Einstieg in die berufliche Qualifizierung ist zu erleichtern. Teilqualifikationen in der Aus- und Weiterbildung sollten breiter genutzt werden, um auch geringqualifizierten Beschäftigten sowie jungen Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ebnen. Denn Teilqualifikationen betonen stärker die praktischen Fähigkeiten. Mit einer ein- oder zweijährigen Teilqualifizierung können neue Wege in den Arbeitsmarkt geschaffen werden.

8. Die Lernortkooperation braucht mehr Ressourcen und eine nachhaltige Förderung. Aus- und Weiterbildung sollten künftig im Sinne von Karrierepfaden und Berufslaufbahnkonzepten noch enger miteinander verzahnt werden. Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit sind durchgängig zu realisieren. Es sollten neue Formen von Lernortkooperationen zwischen Unternehmen, berufsbildenden Schulen, Bildungszentren, Bildungsanbietern und überbetrieblichen Ausbildungsstätten etabliert werden.

9. Toptalente der beruflichen Bildung sollten stärker gefördert werden. Die akademischen Begabtenförderungswerke sollten für Talente aus der beruflichen Bildung geöffnet werden.  Zudem sollten Bildungsgänge mit doppelt qualifizierenden Abschlüssen (Schul- plus Berufsabschluss, Berufs- plus Studienabschluss, Berufs- plus Fortbildungsabschluss) und zielgruppenspezifische Fast-Track-Programme mit verkürzter Ausbildungsdauer stärker ausgebaut werden.

10. Die Internationalisierung der beruflichen Bildung ist voranzutreiben. Analog zu einem DAAD sollte es einen „Deutschen Beruflichen Austauschdienst“ geben. Was an Hochschulen funktioniert, sollte auch Auszubildenden nicht vorenthalten werden. Internationale Wahl- und Zusatzqualifikationen sowie neue, international ausgerichtete Berufsbilder sollten als struktureller Bestandteil moderner Berufsausbildung anerkannt werden. Davon profitieren sowohl Auszubildende als auch Betriebe.

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Dr. Hans-Peter Klös

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