Ein neues Deutschland-Tempo hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt – Ende 2022 bei der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven. Kein Jahr brauchte es dort für Planung, Genehmigung und Bau – für deutsche Verhältnisse eine geradezu unerhörte Geschwindigkeit.
Nicht wenige verknüpfen den LNG-Turbo mit der Hoffnung, auch anderswo werde jetzt ein paar Gänge hochgeschaltet. Geboten wäre das zweifelsohne – aus zwei Gründen: Zum einen schon zwangsläufig, denn allein die Zielvorgabe, die klimaneutrale digitale Transformation hierzulande binnen nur weniger Jahre zu bewerkstelligen, ist ambitioniert und ehrgeizig genug. Zum anderen, weil unser Land viele Jahre schlicht von seiner Substanz gelebt hat. Und da gibt es viel zu tun.
Denn die angekündigte Tempoverschärfung des Bundeskanzlers ist letztlich auch das bittere Anerkennen einer in weiten Teilen desolaten Verfassung der Infrastruktur in unserem Land. Viel zu lange haben wir sie vernachlässigt. Und das fällt uns ausgerechnet jetzt vor die Füße, in dieser Zeit multipler Krisen und gleichzeitiger Erfordernisse im Klimaschutz.
Der Handlungsdruck in Deutschland ist massiv: Eine Fülle von Infrastrukturprojekten wartet auf zügige Umsetzung. Gelingen könnte das durch Verfahrenserleichterungen, kompaktere Beteiligungen der Öffentlichkeit und Erleichterungen beim Baubeginn. Doch die Politik muss das auch wollen. Im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden.
Ankündigen reicht da nicht, jetzt muss geliefert werden. Die Herausforderungen sind immens. Deshalb kann sich unser Land auch keine Blockaden mehr leisten. Weder bei Windrädern, Speichern, Trassen und Konvertern noch bei der Sanierung von Autobahnen, Straßen, Brücken, Schiene und Wasserstraßen. Und wir müssen alle Netze smart machen, auch da muss mal mindestens ein Gang hochgeschaltet werden. Alles hängt mit allem zusammen.
Wirtschaft und Industrie müssen verlässliche Perspektiven erkennen können, damit die notwendigen Zukunftsinvestitionen vor allem an den Standorten in unserer Heimat stattfinden. Das wird nur mit wettbewerbsfähigen Standort-Bedingungen gehen. Und deshalb muss jetzt alles unternommen werden, was die Wirtschaft stärkt – und zugleich alles unterlassen werden, was sie schwächt.
Dazu gehört auch ein wirksamer Industriestrompreis – gerade für den energieintensiven industriellen Mittelstand. Und dazu eine Ausweitung des Strom-Angebots, damit der Preisdruck abnimmt. Beides ist unabdingbar für unsere geschlossenen industriellen Wertschöpfungsketten. Die müssen wir erhalten. Denn sie sind einer unserer wenigen Vorzüge im internationalen Standort-Wettbewerb. Sie sind die Voraussetzung für unseren Wohlstand – und für Millionen von Arbeitsplätzen in Industrie, Dienstleistungen, Handel und Handwerk!
Wir brauchen nicht weniger als eine nationale Kraftanstrengung. Sonst gelingen weder Energiewende, noch Mobilitätswende noch die Transformation unseres Landes. Wenn das alles nicht klappt, scheitert auch die Klimawende. Auch deshalb muss 2023 das Jahr der Umsetzung sein!
Der Kommentar erschien am 15. Juni 2023 in der 12. Ausgabe der BDA-Agenda.