Unternehmer, die in letzter Zeit mit grünen Spitzenpolitikern diskutiert haben, konnten durchaus den Eindruck gewinnen, dass diese die existenzielle Bedeutung einer international wettbewerbsfähigen Wirtschaft und Industrie für unser Land verstanden haben. Umso unverständlicher ist für mich, dass im Programmentwurf der Grünen zur Bundestagswahl von solch realpolitischen Erkenntnissen kaum etwas übrig geblieben ist.
Zumindest programmatisch strebt die grüne Partei offenbar eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung an. Zwar mag sich das Ziel eines klimagerechten Wohlstands zunächst attraktiv anhören. Doch ein überzeugendes Bild, erst recht ein realistischer Weg dorthin, werden nicht aufgezeigt.
Natürlich: Wir werden als Wirtschaft unseren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Die riesigen Herausforderungen der digitalen und nachhaltigen Transformation sind aber nur mit Innovationen und Investitionen zu bewältigen. Wer Unternehmen hierfür gewinnen will, muss ihnen die notwendigen Voraussetzungen bieten.
Doch statt hier Kreativität und Vielfalt zu stärken, setzt das grüne Programm vor allem auf staatliche Lenkung und Dirigismus – mit einem einseitigen Arsenal aus Verboten, Quoten, Regulierungen und staatlichen Preisfestsetzungen.
So sollen das Eigentumsrecht eingeschränkt, individuelle Mobilität beschnitten sowie Steuern und Abgaben erhöht oder gar neu eingeführt werden. Während anderswo in der Welt für den Aufholprozess nach der Pandemie und die Bewältigung der Transformation marktwirtschaftliche Anreize gesetzt werden, erleben wir hierzulande eine unbegreifliche Staatsgläubigkeit. Viele Unternehmer fragen sich, wie sie in einem solchen wirtschaftspolitischen Klima gedeihlich investieren und – insbesondere industrielle – Beschäftigung sichern und aufbauen sollen.
So droht ökologischer Fortschritt nach grünem Regieplan schnell in einen ökonomischen und sozialen Rückschritt zu münden. Die Aussicht auf bevorstehende Wohlstandsverluste dürfte insbesondere Millionen von Industriebeschäftigten und auf das Auto angewiesenen Berufspendlern im Land Sorge bereiten.
Eine verlässliche Energiepolitik ist existenziell
Und wer wie so manche Grüne den Verbrenner lieber heute als morgen von den Straßen verbannen will, sollte den Menschen auch erklären, dass wir nur so viel elektrisch fahren können, wie wir grünen Strom haben. Gerade hier irritiert der grüne Zwiespalt, jederzeit den Klimaschutz lautstark zu fordern, aber fast gegen jedes Windrad und jede Stromtrasse zu klagen.
Existenziell für unser Land ist eine verlässliche Energiepolitik: Mit Energiepreisen, die sich auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau einpendeln und einer sicheren Stromversorgung, die zu jeder Sekunde gewährleistet ist. Ich vermisse bei den Grünen, diese Ziele ebenso leidenschaftlich zu verfolgen wie die angestrebten klimapolitischen Höchstleistungen. Stattdessen beschäftigt sich grüne Klimapolitik vor allem mit Ausstiegsdebatten, vernachlässigt aber die Entwicklung realistischer Einstiegsszenarien.
Offen bleibt, wie der massive Ausbau von Erneuerbaren Energien und der Wasserstofftechnologie, der Ausbau von Netzen und Ladestationen sowie der Aufbau von Speicherkapazitäten erreicht werden soll. Da brauchen wir mehr denn je Lichtgeschwindigkeit statt Schneckentempo. Anders ist der weltweite Wettlauf um Innovationen und Investitionen nicht zu gewinnen.
Einen strammen Links-Kurs fahren die Grünen auch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Hier scheint nur wenig vom einst gezeigten Realismus übrig geblieben zu sein. Vielmehr liefern sich die Grünen augenscheinlich einen Überbietungswettbewerb mit SPD und der Linken um die größten sozialpolitischen Wohltaten.
Da soll der Mindestlohn politisch auf zwölf Euro festgelegt, ein sanktionsloses Grundeinkommen für alle gewährt, die Arbeitszeit gesenkt, die sachgrundlose Befristung abgeschafft, die Zeitarbeit massiv reglementiert, ein Rechtsanspruch auf mobile Arbeit festgezurrt und das Rentenniveau dauerhaft auf 48 Prozent festgeschrieben werden.
Die Finanzierung dieser massiven Ausweitung des Sozialstaats bleibt indes offen. Dabei ist es noch nicht so lange her, als die Grünen zu Recht eine zukunftsfeste Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme und eine nachhaltige Sozialpolitik propagierten.
Wenn die Grünen an diesem Wochenende ihr Wahlprogramm endgültig beschließen, dann hoffe ich, dass die Mehrheit doch noch auf die dort nach wie vor vorhandenen Stimmen der Vernunft hört. Der Partei muss klar sein, dass der gewaltige Strukturwandel und die Transformation ohne stabiles Wirtschaftswachstum nicht zu stemmen sein werden. Dafür braucht Deutschland eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, die nicht behindert, belastet und stellenweise sogar bekämpft wird.
Ich wünsche mir, dass die Grünen erkennen, dass es ohne innovative und auch international erfolgreiche Unternehmen nicht gelingen wird, für Arbeitsplätze, Wohlstand und Steuereinnahmen zu sorgen. Und all dies ist nun einmal die Basis für künftige Erfolge beim Arbeitnehmer-, Verbraucher- und Klimaschutz.
Der Gastbeitrag von Arndt G. Kirchhoff erschien am 12. Juni 2021 in der Welt: