Herr Kirchhoff, die Koalitionsverhandlungen in Berlin sind in einer entscheidenden Phase. Welche Erwartungen haben Sie als Vertreter der nordrhein-westfälischen Industrie?
Kirchhoff: Unser Land steht an einer entscheidenden Wegmarke. Das weltpolitische Umfeld wird zunehmend ruppiger. Gleichzeitig befindet sich Deutschland inmitten einer tiefen strukturellen Wirtschaftskrise. In unserer derzeitigen Verfassung sind wir international nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist die ernste Gemengelage, in der die Koalitionsverhandlungen in Berlin jetzt in die entscheidende Phase gehen. Ich erwarte, dass dabei der Krisensituation wirklich Rechnung getragen und ein weiterer wirtschaftlicher Abstieg verhindert wird. Der Auftrag ist klar: Unser Land braucht einen echten Aufbruch.
Eine große Koalition, wenn man die noch so nennt, ist auf dem Weg. Ist das grundsätzlich im Interesse der NRW-Wirtschaft?
Ob Union und SPD wirklich die Weichen für Wohlstand und Arbeitsplätze richtig stellen, ist noch lange nicht ausgemacht. Gewiss: Das milliardenschwere Sondervermögen für notwendige Investitionen in Deutschlands Verteidigungsfähigkeit und die Ertüchtigung seiner Infrastruktur kann neue Dynamik entfachen. Und natürlich profitiert unsere Wirtschaft von einer leistungsfähigen Infrastruktur. Strukturell wettbewerbsfähig wird der Standort Deutschland dadurch aber noch lange nicht. Vielmehr muss unser Land auf breiter Front schneller, beweglicher und günstiger werden. Nur so kann Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren und international eine große Wirtschaftsnation bleiben.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben, die die nächste Bundesregierung lösen muss?
Ganz wichtig ist, dass die fortschreitende De-Industrialisierung gestoppt wird. Es vergeht inzwischen doch kaum ein Tag ohne Meldungen über Produktionsverlagerungen, Betriebsschließungen und Arbeitsplatzabbau. Unser Land wird diesen Aderlass nicht mehr lange verkraften. Gemessen am Ernst der Lage hören wir aus den Koalitionsverhandlungen immer noch viel zu viel Ideologie. Zu wenig sehen wir noch mutige Aufräumarbeiten, um falsche wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit zu korrigieren. Anders kriegen wir unseren Industriestandort nicht wieder flott.
Aber bitte konkreter, was sind die Stellschrauben, an denen Ihre Mitglieder die Politik der nächsten Legislatur messen werden?
Union und SPD haben jetzt eine riesige Verantwortung. Unsere Unternehmen brauchen Entlastungen auf breiter Front, um neues Vertrauen in den Standort Deutschland zu schöpfen. Ich sage ganz klar: Unser Land kann sich weitere wirtschafts- und sozialpolitische Fehlentscheidungen mit neuen Belastungen für die Unternehmen nicht mehr leisten. Hält die massive Investitionsschwäche an, werden wir gravierende Konsequenzen für unser Land erleben. Mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und neues Vertrauen in unsere Demokratie schafft eine neue Bundesregierung nur, wenn sie sich als handlungsfähig erweist und die Probleme löst.
Kann die Koalition aus Schwarz und Rot es besser machen als die umstrittene, zerstrittene Ampel der vergangenen Jahre? Anders gesagt, hat Deutschland eine Chance, wieder aufzuholen und nicht der kranke Mann vom Rhein zu bleiben?
Die Politik muss sich jetzt ehrlich machen: Sie selbst hat in vielen Jahren dazu beigetragen, dass das Deutschland des Jahres 2025 international nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Umso größer ist nun die Chance: Wenn CDU/CSU und SPD die Kraft zu echten Strukturreformen finden, kann dies der Beginn einer neuen Erfolgsgeschichte unseres Landes sein. Ich bin sicher, dass dies auch vermittelbar ist. Ich erwarte einen großen Wurf, nicht lähmendes Klein-Klein.
Ein Hauptanliegen Ihrer Verbände und Unternehmen ist das Thema Energie, oder besser, Energiekosten. Wie bewerten Sie die Ideen aus dem Sondierungspapier?
Die im Sondierungspapier angekündigten Entlastungen bei den Energiekosten gehen schon mal in die richtige Richtung. Doch hier wird es auf die zügige Umsetzung ankommen. Und dabei müssen zwingend die Energiepreise unserer internationalen Mitbewerber der Maßstab sein. Ich prophezeie, dass andernfalls insbesondere die energieintensive Industrie bis weit in den industriellen Mittelstand hinein nicht mehr am Standort Deutschland investieren wird. Und das zerstört am Ende unsere bisher noch vollständigen Wertschöpfungsketten.
Und über das Thema Energie hinaus..., etwa beim Thema Steuern und Sozialabgaben?
Entlastungen bei den Energiepreisen werden schnell zur Makulatur, wenn an anderen Stellen nichts passiert oder sogar neue Belastungen hinzukommen. Etwa in der Steuer- und Sozialpolitik: Hier fehlen mir Krisenbewusstsein und Reformbereitschaft. Wir brauchen eine Begrenzung der Steuerlast für Unternehmen auf maximal 25 Prozent und eine Rückführung der Sozialbeiträge unter die 40-Prozent-Marke. Das wären zwei ganz entscheidende Schritte, damit Deutschland international wieder wettbewerbsfähig und an deutschen Standorten investiert wird.
Herr Kirchhoff, ein Schlussplädoyer bitte.
Die Politik muss einfach verstehen, dass die überbordende Bürokratie unsere Unternehmen schlichtweg fertig macht. Ich erwarte, dass auch einmal Gesetzesregelungen im großen Stil gestrichen werden. Es ist der Politik nicht verboten, hier den gleichen Ehrgeiz zu zeigen wie in den vielen Jahren des Bürokratie-Aufbaus zuvor. Auch dieses Signal wäre eminent wichtig.
Das Interview mit Präsident Arndt G. Kirchhoff erschien am 29. März 2025 im Kölner Stadt-Anzeiger: