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IKZ: Arndt G. Kirchhoff: "Keiner von uns kannte eine Pandemie" - 8.5.2021

NRW-Unternehmerpräsident Arndt G. Kirchhoff im Interview mit dem Iserlohner Kreisanzeiger zu wirtschaftlichen Themen und der Frage, was sich in Deutschland ändern muss.

Auch wenn er als gebürtiger Essener eigentlich ein „Zugereister“ ist und heute in Attendorn wohnt, ist der Unternehmer und Wirtschafts-Interessenvertreter Arndt Günter Kirchhoff (66) doch ein Sohn dieser Stadt. Da ist natürlich seine Tätigkeit aus Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff-Gruppe zu nennen. Aber er ist eben auch Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen, Präsident von Metall NRW, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e. V., Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Vizepräsident des Verbandes der Automobilindustrie. Und in all diesen Funktionen und Tätigkeitsgebieten hat er natürlich auch einen kritischen Blick auf den Zustand und die Zukunft dieses Landes. Grund genug für ein thematisches Querbeet-Gespräch von Corona bis „Chimerika.“

IKZ: Herr Kirchhoff, ich weiß nicht mehr, von wem der Satz stammt, aber ich zitiere ihn trotzdem: Deutschland versucht, auch in der Corona-Pandemie ein Höchstmaß an Bürokratie aufrecht zu erhalten. Und wir haben uns im Netz eines überregulierten Alltags verheddert. Teilen Sie diesen Eindruck?

Arndt G. Kirchhoff: Ja, absolut. Wir Unternehmerinnen und Unternehmer beklagen das ja schon länger, weil es vom Handwerk bis zur Großindustrie viele Dinge zu tun gibt, die uns einfach der Staat vorschreibt und die wir machen sollen. Es gibt natürlich auch ein paar sinnvolle Sachen, wir wollen ja auch Statistiken haben und da muss man auch einiges eingeben. Aber es gibt eben auch sehr, sehr viele Dinge, die wir für überflüssig halten. Wir haben immer wieder gesagt: „Schaut Euch das an! Wenn wir das abschaffen, wird das Leben leichter und nicht so undurchsichtig.“ Jetzt in der Phase der Pandemie merkt das auch jeder Bürger, weil die Entscheidungen der Politik immer verbunden sind mit irgendwelchen Anweisungen, Richtlinien und Gesetzen. Wir merken auch, dass das dann in einem föderalistischen Staatengebilde nicht einfacher wird. Ich hoffe, dass das dazu führt, dass wir zwei Dinge sehen werden. Erstens: Wenn wir schon Daten und Zahlen erheben und Fragebögen ausfüllen, dass das in Zukunft alles digital erfolgt. Wir sehen ja gerade den Unterschied zwischen der deutschen Industrie, wo das schon so ist, und der deutschen Verwaltung. Das sollten wir uns heute nicht mehr leisten.

Wenn in Deutschland ein Häftling aus einem Gefängnis ausbricht, verlangen Opposition und Bürger regelmäßig den Rücktritt mindestens des Justizministers. Auf Bundesebene läuft die Liste des Versagens inzwischen über. Stichworte: Bundeswehr-Beschaffung, Impfstoff- und Impfstrategie-Hickhack, verschleppte Hilfszahlungen, EU-Gezerre um alle möglichen Themen. Aber an der Spitze bleibt seit Jahren alles wie gehabt. Finden Sie das verständlich?

Ich möchte nicht in der Haut derjenigen stecken, die das zu verantworten haben. Es ist nun mal in der Politik so, dass sie das als Ministerin oder Minister oder als Regierungschefin oder Regierungschef mit zu verantworten haben. Aber auch da geht es ja um das gleiche: Sind die Entscheidungswege transparent? Sind wir schnell oder nerven wir uns gegenseitig? Wir sind ja in einer Situation, da können Sie eigentlich nichts richtig machen, denn keiner von uns kannte eine Pandemie und keiner hat ein Patentrezept.

Wir schränken alle möglichen Grundrechte massiv ein, aber beim Datenschutz wollen wir die Heiligsten unter den Heiligen sein. Ist das normal?

Ich habe von Anfang beklagt, dass wir den Datenschutz höher stellen als den Gesundheitsschutz. Genau das ist ja eines dieser Missverständnisse. Wir konnten jetzt jeden Tag zigfach hören, dass es wichtig sei, dass wir aufgrund des notwendigen Gesundheitsschutzes, wegen der Überlastungen der Kliniken und des dortigen Personals Regeln einführen. Dazu sagen wir alle „ja“. Dass wir dazu aber nicht die digitalen Möglichkeiten nutzen, den Datenschutz mal für einen Moment tieferhängen und mit QR-Tracing und Tracking-Apps arbeiten, statt Listen im Lokal auszufüllen, das ist ein Fehler. Die Apps sind seit Monaten programmiert. Aber es gab dann wieder keinen, der gesagt hat: Okay, dann flanschen wir die jetzt an unsere normale App, die in meinen Augen ja unzulänglich ist, an und wir können wieder mehr Freiheiten haben. Wo bleibt so etwas in solchen Prozessen eigentlich hängen?

Bürgerliche Tugenden wie Ehrgeiz, Fleiß und Leistung haben dieses Land zu dem gemacht, was es bis vor kurzem war oder vielleicht auch noch ist. Aber ist die Zeit dafür irgendwie abgelaufen?

Nein, überhaupt nicht. Mein Familienunternehmen gehört zu den typisch deutschen Familienunternehmen. Alt. 236 Jahre jetzt. Nicht zu groß. Man kann sich noch kennen. Eine hervorragende Facharbeiterausbildung, um die wir uns zusammen mit unserem auch guten dualen Bildungssystem noch selber kümmern. Wir haben also eine solide Basis und damit haben wir schon mehrere Zeiten der sogenannten Transformation erfolgreich durchgemacht. Mir ist noch nicht aufgefallen, dass uns die Japaner, Koreaner, Chinesen und auch Amerikaner, von denen wir jeden Tag lesen, bereits überholt hätten. Wir werden sogar sehen, dass uns das Erreichen der Klimaziele viele neue Geschäfte bringen wird. Das gilt für die Sektoren Energie, Mobilität und auch für den Maschinenbau. Da werden wir unsere Stellung verteidigen, und ich kann mir sogar vorstellen, dass wir sie noch ausbauen.

Haben Sie auch das Gefühl, dass wir auf vielen Gebieten in einem „Deutschland der lähmenden Angst“ leben?

Ich würde mir wünschen, dass wir das mal ablegen. Das hat ja inzwischen sogar einen Namen, die „German Angst“. Das ist wohl ein bisschen in unserer Natur. Meine Natur ist es nicht. Ich bin von Hause aus eher Optimist, sehe eher die Chancen der Zukunft. Das ist eine Einstellungsfrage. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir da mehr Einigkeit haben, dass die Zukunft gut aussieht, dass wir die Herausforderung annehmen. Das ist auch leichter, als ständig mit dem Kopf unterm Arm rumzulaufen. Und wenn wir dann das Licht am Ende des Tunnels sehen, dann verlängern wir Deutschen den Tunnel. Aber dazu müssten wir uns alle miteinander motivieren. Da müssen wir ein besseres, gemeinsames Bild für die Zukunft zeichnen, da muss auch die Politik mithelfen. Solange die Politik bei uns im Wohnzimmer nur Theater spielt und übereinander herfällt, dann sind die, die uns vertreten, auch nicht richtig zukunftsmäßig unterwegs.

Viele haben Deutschland eigentlich immer für fortschrittlich, organisiert, digital auf dem richtigen Weg und gut geführt gehalten. Und plötzlich hakt es ebenda an allen Ecken und Kanten. Kann das nicht auch eine gewisse Aufbruchstimmung erzeugen?

Ich bin davon überzeugt, dass wir jetzt auch eine Beschleunigung in einer ohnehin schon schnellen und komplexen Zeit erleben.

Staunen Sie denn nicht auch darüber, dass das Volk bis hin zu Grün-Alternativen und mal abgesehen von einigen Frei- oder Querdenker-Protestlern der Politik so willig und kaum murrend folgt?

Staunen ist für mich das falsche Wort, ich bin da eigentlich froh drüber. Mir ist sehr wohl bewusst, dass zu dieser deutschen Mentalität, die ich eben beschrieben habe, auch gehört, dass wir nicht so schnell auf jeden Zug aufspringen. Wir sind ein Stück weit leidensfähiger als andere. Wenn ich in die Nachbarländer schaue, da sind die Leute schon alle auf der Straße. Nehmen wir das mal als glücklichen Umstand. Das soll uns aber nicht davon abhalten, schnell besser zu werden. Denn dann werden wir auch wieder mehr Menschen hinter unsere Gesellschaftsordnung, hinter unsere Ziele bringen.

Liegt es vielleicht daran, dass wir glauben, alles zu wissen, aber in Wirklichkeit kaum etwas wissen?

Auch das ist eine Frage, wie wir heute Politik machen. Uns ist allen aufgefallen – und wir haben es auch beklagt – dass sich unsere Politiker in erster Linie mit Epidemiologen und ähnlichen Wissenschaftlern unterhalten haben, aber nicht die Wirtschaft gefragt haben, nicht die Sozialverbände gefragt haben, nicht die Gesellschaft gefragt haben. Man hat im Grunde genommen Aussagen gemacht auf der Basis von seriösen Wissenschaftlern. Aber das ist eben nur ein Teil der Gesellschaft. Ich hätte mir gewünscht, dass man die anderen Teile der Gesellschaft auch gehört und dann politisch abgewogen hätte.

Top-Manager Wolfgang Reitzle hat in einem Interview einen – wie ich finde – für viele wahrscheinlich provozierenden Satz gesagt: Wie wäre es, wenn die Erkenntnis unser Handeln leiten würde, dass Wohlstand auch Anstrengung und Leistung bedeutet. Würden Sie ihm da folgen?

Ja. Ich glaube, das möchten die meisten Menschen. Die meisten Menschen möchten etwas leisten. Das gilt für die, die jetzt im Beruf stehen und auch für jüngere Menschen. Die wollen im Leben etwas erreichen. Und wenn sie etwas leisten, möchten sie auch differenziert werden. Das ist wie im Sport. Wenn ich weiter springen kann, bekomme ich eher eine Medaille. Also strenge ich mich an, dass ich in die Punkte komme. Wir sollten das Leistungsprinzip aufrechterhalten. Und es muss sich auch lohnen. Das funktioniert aber nur, wenn ich nicht alle gleich mache. Die Menschen sind nicht alle gleich. Was ich allerdings tun muss – und das ist in unserer sozialen Marktwirtschaft fest verankert – ich muss ich mich um die kümmern, die aus irgendwelchen Gründen nicht können. Weil sie krank sind oder andere Probleme haben. Das machen wir besser als in vielen anderen Ländern.

Die CDU macht sich plötzlich auch für ein Mindesthaltbarkeitsdatum auf dem KanzlerInnen-Stuhl stark. Ist das die Angst vor Frau Baerbock oder die Erkenntnis, dass 16 Jahre Merkel doch vielleicht etwas zu viel waren?

Ich will das nicht werten und schon gar nicht parteipolitisch, aber meine persönliche Meinung ist – und wir hatten ja nicht nur Frau Merkel mit 16 Jahren, sondern auch Helmut Kohl mit 16 Jahren – dass man dieses Amt in der Tat begrenzt. Zweimal vier oder fünf Jahre. Ich bin ohnehin für eine etwas längere Amtszeit von fünf Jahren wie jetzt auch in NRW. Da ist der Wahlkampf, und bis sich eine Partei sortiert hat, dauert es auch noch. Die Zeiten, in denen tatsächlich etwas passiert, sind ohnehin schon sehr kurz.

Was braucht Deutschland jetzt für einen Re-Start am dringendsten? Ist die Steuersenkung für Betriebe die tatsächliche Kern-Lösung?

Da reden wir also auch wieder über Geld und die Frage: Wann lohnt sich Leistung und wie verteilen wir gerecht? Das wollen wir ja auch machen. Das ist ein Thema, das wir seit Jahren ansprechen und das wir bei gar keiner Partei durchkriegen. Das ist eine Frage der Steuergerechtigkeit. Wir müssen versuchen, dass der Kuchen, den wir gemeinsam verdienen, wächst und größer wird. Das machen wir durch Erfolge in der Wirtschaftsleistung und im Export. Seit Jahren wird aber der dadurch entstehende Mittelstandsbauch zu hoch besteuert. Wenn man sieht, wie viele da in den letzten Jahren reingerutscht sind. Die Leute leisten was.

Und ich kann bei einer bestimmten Höhe – in Amerika sind das 400.000 Dollar – den Spitzensteuersatz greifen lassen. Aber nicht bei 80.000 Euro. Die, die bei uns die Mittelschicht bilden, die sich reinhängen, die sollen was davon haben. Was die Unternehmenssteuern angeht, werden sie keine andere Antwort erwarten, als die, die auch richtig ist. Aber ich warne davor, – wie es jetzt schon wieder in vielen Wahlprogrammen steht – die Substanz zu besteuern. Damit treffen wir die Innovation, die Investition und die Arbeitsplätze. Das ganze System muss gerechter werden.

Auch im Bereich der internationalen Wirtschaft knirscht es im Weltgefüge: Irgendwann wird sich Deutschland bei der Export- und Kooperationsstrategie entscheiden müssen zwischen China und Amerika. Fachleute sagen: „Chimerika“ wird nicht mehr lange funktionieren. Das dürfte für Deutschland eine schmerzliche Entscheidung werden, oder?

Das sehe ich nicht so. Ich gebe auch da die Hoffnung nicht auf. Am Gescheitesten wäre es noch immer, wir hätten gescheite WTO- oder Welthandels-Regeln, am idealsten wäre ein freier Markt auf der Welt. Aber das ist ein Idealbild, das wird seit Jahrzehnten – beginnend mit Doha – nicht zu erreichen sein. Tatsache ist, wir haben einen starken Verbündeten im Westen mit einem Riesenmarkt, der fast so groß ist, wie der europäische. Wir sind in beiden Märkten etwa gleich verteilt. Das bekommt uns auch ganz gut, so lange dort keine Verrückten an der politischen Führung sind. Und China ist ein Riesen-Markt geworden. In vielen Bereichen ist es schon der größte Markt. Da müssen wir in den Diskurs gehen. Das hat die deutsche Politik bisher auch sehr gut gemacht.

Ich entsinne mich an den damaligen Wirtschafts- und späteren Außenminister Gabriel, der den Chinesen gesagt hat: „Wenn ihr was wollt, wollen wir auch was!“ „Reziprok“ hat er das damals genannt. Natürlich müssen wir bescheiden bleiben. Wir sind kleiner als China und die Chinesen haben schon einen gewissen Anspruch in der Welt. Aber das heißt nicht, dass wir das bei einer Zusammenarbeit nicht auf Augenhöhe tun sollten. Und wenn was falsch läuft, müssen wir das auch kritisieren. Vor allem dann, wenn unsere Werte verletzt werden.

Was macht Ihnen im Moment trotz aller Sorgen die meiste Hoffnung?

Es gibt noch so viele Menschen auf der Welt, die Not leiden, die versorgt werden wollen. Wir haben das schon so oft gedacht, auch als deutsche Unternehmen. Menschen, die wir zu Verbrauchern machen, denen durch Knowhow-Übertragung und durch Ansiedlung von Arbeitsplätzen zu Wohlstand verholfen wird. In China hat das funktioniert. In China allen voran, wenn Sie sich ansehen, welche Marktanteile wir da haben. In China haben wir es geschafft, in 20 Jahren 700 Millionen Menschen aus der Armut herauszubringen. Das ist heute Mittelstand dort. Die können sich heute Leben leisten.

Hätten Sie ein Problem damit, wenn wir eine grüne Kanzlerin bekämen?

Ich hätte kein Problem damit, denn die Personen, die wir in der deutschen Politik haben und die sich dafür einsetzen, verdienen alle Respekt. Das ist kein einfacher Job, ich möchte ihn nicht machen. Ich beurteile aber nicht die einzelnen Personen, ich beurteile die Wahlprogramme. Und das Wahlprogramm der Grünen ist noch nicht wirtschaftsfreundlich. Da werden wir noch einmal drüber reden müssen. Das geht in dirigistische Richtungen, die von den Vätern der Marktwirtschaft so nicht vorgesehen waren. Das Programm wird dazu führen, dass wirtschaftliche Tätigkeiten erlahmen.

Das Interview führte Thomas Reunert, veröffentlicht bei IKZ online am 8. Mai 2021:

https://www.ikz-online.de/staedte/iserlohn/keiner-von-uns-kannte-eine-pandemie-id232240995.html

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