Herr Kirchhoff, Donald Trump krempelt die USA binnen weniger Tage per Dekrete um. Fürchten Sie folgenschwere Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und somit den Wohlstand im Land?
Arndt G. Kirchhoff: US-Zölle auf Stahl und Aluminium dürften wir direkt zunächst nur in begrenztem Maß merken, da wir nur wenig Stahl in die USA exportieren. Ich setze vielmehr auf eine schnelle Verständigung und glaube, dass Trump einsehen wird, wie sehr Zölle letztlich auch ihm schaden werden. Bei aller Aufregung sollten wir nicht vergessen, dass die Europäische Union sehr stark ist. Europa ist immer noch die größte Industrieregion der Welt. Das weiß auch Donald Trump. Diese Stärke müssen wir uns aber auch bewahren.
Aber wie sollte sich Deutschland aus Ihrer Sicht als Wirtschaftsexperte und Unternehmerchef in NRW gegenüber den USA nun verhalten?
Kirchhoff: Mit Zöllen passiert gerade das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Wir benötigen mit den USA dringend Handelsabkommen zum Beispiel bei Wasserstoff. Durch Zölle wird es für uns Verbraucher am Ende nur teurer. Wir sollten alles tun, dass die wieder verschwinden. Ich möchte, dass wir zu freiem Handel zurückkehren. Wir haben viele Handelsabkommen, die wir uns eigentlich vorgenommen hatten, noch nicht umgesetzt, unter anderem mit Kanada. Die Latte für eine Unterschrift haben wir selbst oft zu hoch angesetzt. Das erweist sich jetzt immer mehr als großer Fehler.
Plädieren Sie auch zu freiem Handel mit Nationen wie China?
Kirchhoff: Ja, natürlich. Europa und China werden schon zusammenfinden, wenn wir wirtschaftlich stark bleiben. Die öffentliche Debatte um China steht hierzulande etwas Kopf. Verbesserungen etwa im Bereich der Menschenrechte lassen sich durch Handel erzielen, nicht aber durch den moralischen Zeigefinger. Wir dürfen Partner nicht pauschal ausschließen, nur weil sie nicht unseren Normen und Werten entsprechen. So funktioniert Diplomatie nicht. Und zur Wahrheit gehört doch auch: Deutschland ist beispielsweise in der Autoindustrie viel stärker in China engagiert als umgekehrt. Auch Trump sollte merken, dass wir gut mit China zusammenarbeiten können.
Einem Land, welches gerade unseren Automobil-Markt massiv beeinträchtigt, vor allem im Bereich der Elektroautos?
Kirchhoff: Das stimmt ja so nicht. Deutschland ist nach China der zweitgrößte Produzent von Elektroautos auf der Welt. Dieses Jahr werden in Deutschland rund 1,8 Millionen E-Autos gebaut, das ist nahezu die Hälfte aller hier gebauten Fahrzeuge. Das ist ein Rekord. Wir erreichen damit in der EU einen Marktanteil von 50 Prozent bei E-Autos.
Wie bewerten Sie die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik?
Kirchhoff: Die Politik ist falsch abgebogen. Das gilt für Deutschland wie für die EU gleichermaßen. Unser Wirtschaftssystem ist die soziale Marktwirtschaft, aber die entwickelt sich zunehmend zur Planwirtschaft. Politik hat als Spieler auf dem Feld der Wirtschaft nichts zu suchen; sie muss wieder in die Rolle des Schiedsrichters zurück.
Sehen die Parteien in Deutschland das auch so?
Kirchhoff: CDU, FDP ja, die SPD im Grundsatz auch, die Grünen haben anscheinend noch Diskussionsbedarf. Ideologie können wir uns aber nicht mehr leisten. Dafür ist die Lage zu ernst. Stattdessen brauchen wir dringend eine Technologieoffenheit. Wir bekennen uns in der Industrie klar zu den europäischen Klimazielen. Und Sie werden von mir die Forderung zum Bau neuer Kernkraftwerke nicht hören. Die sind viel zu teuer. Doch wir müssen schon selbst vorgeben dürfen, wie wir als Industrie die Ziele erreichen können. Das wissen wir nämlich am besten.
Wird die wirtschaftliche Lage aktuell schlechter gemacht, als sie ist?
Kirchhoff: Nein. Wir verlieren derzeit jeden Monat 10.000 Beschäftigte in der Industrie. Da fallen gut bezahlte Jobs weg, das kann auch ein Stellenzuwachs etwa bei den Dienstleistungen nicht ausgleichen. Energiekosten, Bürokratie, Steuern und Abgaben -wir haben ein massives Wettbewerbsfähigkeitsproblem.
Ist der Vorschlag von Friedrich Merz, bis Sommer eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft zu erzeugen, realistisch?
Kirchhoff: Wir brauchen schnell einen echten Stimmungswechsel und nach der Wahl eine schnelle Regierungsbildung. In den Unternehmen ist die Verunsicherung groß und das Vertrauen in die Politik beschädigt. Das hat zu einem Investitionsstau führt, der jetzt aufgelöst werden muss. Wenn es stimmt, dass Wirtschaft zu 50 Prozent aus Psychologie besteht, dann kann es möglich sein, das Ruder auch in kurzer Zeit rumzureißen. Das muss aber jetzt auch wirklich passieren, wenn wir als Wirtschaftsstandort stark bleiben wollen - und somit auch als ernst zu nehmender Wettbewerber in der Welt.
Das Interview mit dem Präsidenten von unternehmer nrw ist am 17. Februar 2025 in der Neuen Westfälischen erschienen: