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aus NRW

WAZ-Interview: Jedes Windrad braucht auch eine Straße

Im Interview mit der WAZ fordert NRW-Unternehmerpräsident Arndt G. Kirchhoff von Schwarz-Grün mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien und weniger Bürokratie in den Genehmigungsverfahren.

Herr Kirchhoff, was ist Ihre Bilanz nach einem Jahr Schwarz-Grün?

Kirchhoff: Ich sehe Licht und Schatten. Gut ist, dass CDU und Grüne in Düsseldorf ruhiger arbeiten als die Ampel in Berlin. Die Landesregierung handelt pragmatisch und konstruktiv. Für den Fall einer Gas-Mangellage etwa hätte Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) einen Notfallfonds scharf gestellt. Damit hat sie unseren Unternehmen in einer schwierigen Lage Sicherheit gegeben.

Also ein überwiegend gutes Zeugnis?

Kirchhoff: Ja, aber die eigentliche Prüfung für Schwarz-Grün kommt erst noch. NRW muss schneller werden, und zwar auf vielen Feldern gleichzeitig. Für die Energiewende benötigt das Land mehr Windräder, Solaranlagen und die komplette Infrastruktur für Wasserstoff. NRW muss bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren für diese Zukunftstechnologien schneller werden. Da ist noch zu viel Bürokratie im Spiel, die Genehmigungen dauern zum Teil Jahre. NRW könnte, wenn es wollte, sogar schneller als Berlin und Brüssel sein. Mona Neubaur und Robert Habeck betonen stets, es gehe ihnen um den Erhalt von Arten, nicht um einzelne Tiere. Dafür müssten aber die Gesetze geändert werden. Es kann doch nicht sein, dass ein Wurm oder eine Schnecke ganze Projekte aufhalten. Bei den Erneuerbaren geht es übrigens nicht nur um die schnelle Genehmigung für das einzelne Windrad. Ein Windrad benötigt auch eine Straße, die dort hinführt, und ein Fundament, für das man Kies und Zement benötigt. Das muss man alles zusammen denken, und das vermissen wir. Wenn das Land Platz für 3000 Windräder schafft, muss es auch sicherstellen, dass die 3000 Zuwegungen schnell fertig sind.

Unternehmer NRW setzt also, wie die Grünen, voll auf den Ausbau der Erneuerbaren?

Kirchhoff: Wir brauchen jetzt schnell einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis von 4 bis 6 Cent. Das ist entscheidend für unsere energieintensiven Industrieunternehmen und den Erhalt ganzer Wertschöpfungsketten. Weil die Energiepreise derzeit viel zu hoch sind, wird gerade zu wenig investiert, und das gefährdet Arbeitsplätze. Wir benötigen zusätzlich einen viel schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, um das Angebot auszuweiten und damit dauerhaft den Preis zu senken.

Das Ruhrgebiet soll eine Wasserstoff-Modellregion werden. Ist dieser Zug nicht schon wieder abgefahren. Sitzen die Pioniere nicht längst woanders?

Kirchhoff: Nein. Die Zeit rennt zwar, aber wir sollten unsere Standortvorteile nicht kleinreden. Wir haben tolle Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wir liegen mitten in Europa, haben also Logistikvorteile. Das Ruhrgebiet muss auch nicht erst neu erschlossen werden, denn vieles ist schon hier. Aber: Tatsache ist, dass wir in Deutschland heute noch keinen grünen Stahl einkaufen können, dafür muss man nach Frankreich oder Schweden. Bund und Land müssen hier also Tempo machen, das Rennen wird jetzt entschieden.

Sie sagen, das Ruhrgebiet sei schon voll erschlossen. Sind nicht gerade deshalb Flächen so knapp?

Kirchhoff: Ja, das Revier hat ein Flächenproblem. Wir können nicht immer warten, bis das Alte verschwunden ist und dann erst Neues entstehen lassen. Tesla ist nach Brandenburg gegangen, weil es in NRW keine geeignete Fläche gab. Mein Unternehmen hat jüngst in Leipzig eine Fabrik für Kehrmaschinen eingeweiht. Die Genehmigung dafür hat nur zwölf Monate gedauert, obwohl wir dort erst die „Lurchis“ umgesiedelt und ein Biotop angelegt haben. Sachsen wollte diese Arbeitsplätze unbedingt. In NRW ginge das nicht so schnell. Selbst innerhalb von Deutschland sind die Möglichkeiten also ungleich verteilt. Das Revier und NRW müssen zudem noch viel digitaler werden. Zum Glück nehmen der Glasfaser-Ausbau und der Ausbau des 5G-Netzes endlich Fahrt auf.

Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf, aber Straßen und Brücken sind marode…

Kirchhoff: ... hier fällt uns auf die Füße, dass viele Jahrzehnte unsere Verkehrsinfrastruktur vernachlässigt wurde. Und was das Ruhrgebiet angeht: Es gab mal die Vision einer schnellen S-Bahn einmal quer durchs Revier. Die wollten die Bürger nicht. Das brauchen wir aber. Keine andere Region bietet sich mehr an für ein geschlossenes, schnelles, modernes Nahverkehrsnetz, das eine Alternative zum Auto ist. In München, Berlin, Hamburg, London, Paris etwa ist das bereits der Fall.

Sie sagen, alles muss gleichzeitig beschleunigt werden. Jede dieser Veränderungen berührt aber die Bürgerinnen und Bürger. Jedes Windrad, jede neue Leitung, die Elektrolyseure für Wasserstoff. Überfordern wir die Menschen?

Kirchhoff: Wir stehen vor einer industriellen Transformation, die wir so noch nie hatten. Alles geschieht gleichzeitig und in einem unglaublichen Tempo. Das muss die Politik den Menschen erklären, und die NRW-Regierung macht das schon ganz gut. Das Verständnis für Veränderung ist heute größer als noch vor Jahren. Zudem müssen wir die Bundesgesetzgebung ändern, damit nur die Bürger, die von Infrastruktur-Maßnahmen unmittelbar betroffen sind, ein Mitspracherecht haben. Heute können aber Einzelpersonen, die regional gar nicht betroffen sind, hunderte von Projekten in Deutschland aufhalten - Windräder, Wohn- und Industriegebiete – und alles wegen einer Schnecke. Der Staat kann sich von Einzelnen vorführen lassen, und das geht nicht. Und wer tatsächlich vom Bau einer Stromtrasse betroffen ist, muss großzügig entschädigt werden.

Können sich die Industrie und die Bürger die Energiewende leisten?

Kirchhoff: Grüner Stahl, Wasserstoff allgemein, sind noch sehr teuer, und Elektroautos sind teurer als Benziner. Viele Verbraucher halten sich daher beim Konsum zurück. Unternehmen und Bürgern fehlt die Planungssicherheit. Hinzu kommt eine misslungene Kommunikation der Politik. Das Ringen um das Heizungsgesetz hat zum Beispiel viele Menschen verunsichert. Fortschritt entsteht aber nicht dadurch, Technologien zu verbieten. Ich plädiere für Technologieoffenheit, dann entscheiden Angebot und Nachfrage, welche Technologie sich am Ende durchsetzt. Fast alles kann grüner, klimafreundlicher gemacht werden, sogar Verbrennungsmotoren, wenn sie mit Kraftstoffen aus Abfällen oder Biogas betrieben werden. Um die Menschen nicht zu verschrecken, sollte die Politik kein Ausstiegsdatum festlegen, sondern ein Ziel nennen. Mit der Erhöhung des CO2-Preises wird sich der Verbraucher von sich aus für eine andere Technologie entscheiden. Die muss man ihm nicht aufzwingen.

Es gibt Anzeichen für eine Rezession, die Preise steigen, Kunden kaufen zu wenig. Wie kommt NRW da wieder raus?

Kirchhoff: Die wirtschaftliche Lage ist ohne Frage sehr schwierig. Neben wettbewerbsfähigen Standortbedingungen ist sicher die Digitalisierung ein Schlüssel, sie ist unsere große Chance. Hier müssen wir führend sein und das Land effizienter machen in der Bildung, in den Verwaltungen, in der Industrie. Viele Arbeitsplätze werden sich zwangsläufig verändern. Und wir gewinnen Potenziale für Bereiche, wo mehr Fachkräfte gebraucht werden: in Pflege, Handwerk, Gastronomie.

Hat sich die Rolle des Staates verändert?

Kirchhoff: Die Menschen beginnen sich daran zu gewöhnen, dass der Staat in der Wirtschaft selbst Akteur und nicht nur Schiedsrichter am Rande ist. Er greift manchmal zu Recht ein—etwa in der Pandemie und beim Energiemangel. Es bleibt aber dabei, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist. Sonst bewegen wir uns in Richtung Planwirtschaft. Deshalb muss sich der Staat auch wieder zurücknehmen. Die Soziale Marktwirtschaft kann viele Probleme selbst lösen. Der Staat muss sich auf seine Themen konzentrieren, zum Beispiel gute Straßen und Wasserwege.

Die Warnung, sich nicht weiter von China abhängig zu machen, wird lauter. Steckt die NRW-Wirtschaft in der China-Falle?

Kirchhoff: 99 Prozent der deutschen Industrie in China ist nicht abhängig. Unser Unternehmen und viele andere auch machen nur so viel in China, dass wir, wenn wir morgen enteignet werden sollten, keine existenziellen Probleme bekommen. Ohnehin suchen sich die Unternehmen in zunehmendem Maß auch noch andere Partner in der Welt.

Müssten wir wieder mehr Produktion nach NRW zurückholen?

Kirchhoff: Ausgerechnet jetzt, wo vielerorts reorganisiert wird, ist Deutschland nicht fit. Die Wettbewerbsbedingungen sind nicht gut genug, die bürokratischen Hürden sind zu hoch, Genehmigungen dauern zu lange. Viele Industrie-Unternehmen schauen gegenwärtig lieber etwa nach Spanien oder Portugal, nach Marokko oder in die Golfstaaten. Immerhin: Die Top-Firmen aus USA investieren weiter in Deutschland: Google, Microsoft, Tesla.

Wie bewerten Sie das geplante Fachkräfte-Einwanderungsgesetz des Bundes?

Kirchhoff: Da geht Deutschland einen guten Weg. Wir brauchen die qualifizierte Zuwanderung. Die Hürden für die dringend benötigten Fach- und Arbeitskräfte sind bald niedriger. Aber sie müssten sogar weiter beseitigt werden, zum Beispiel bei der noch immer zu komplizierten Visavergabe. Wenn eine Firma bestimmte Bewerber aus dem Ausland haben möchte, dann muss man ihr auch vertrauen. Auch bietet es sich an, Arbeitskräfte bereits in ihren Heimatländern vorzuqualifizieren. Und wir müssen jene, die bei uns Schutz finden, besser in den Arbeitsmarkt integrieren. In anderer Hinsicht müssen wir aber konsequenter werden: Wenn einer zuwandert und dann doch nicht arbeitet, dann muss er wieder in seine Heimat zurück.

Das Interview erschien am 30. Juni 2023 in der Printausgabe der WAZ: 

https://www.waz.de/wirtschaft/wirtschaft-in-nrw/nrw-arbeitgeberchef-jedes-windrad-braucht-auch-eine-strasse-id238818559.html