Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)
Von Jens Helmecke
Vielleicht ist 2020 für viele Menschen ein verlorenes Jahr. In jedem Fall ist es ein denkwürdiges, weltweit. Ein furchtbares Virus bestimmt seit Monaten das Leben rund um den Globus und natürlich auch in Deutschland. Der erfolgreiche Attendorner Unternehmer Arndt Günter Kirchhoff (oder Arndt G. Kirchhoff)vertritt die Wirtschaft in vielen Belangen. Der 65-Jährige ist durch seine Tätigkeit in Funktionen als NRW-Unternehmerpräsident oder als Vizepräsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) seit Jahren nah dran an Regierungsgeschehen im Bund und Land, auch jetzt, in der vielleicht schwierigsten Krise der Nachkriegszeit.
Herr Kirchhoff, wie zufrieden sind Sie in dieser Situation mit der Bundesregierung?
Arndt G. Kirchhoff: Ganz aktuell frustrieren mich erst einmal die weiterhin hohen Infektionszahlen. Wir haben es im November nicht geschafft, das Virus unter Kontrolle zu bekommen. Allerdings muss man sagen, dass man ja eigentlich nichts zu hundert Prozent richtig machen kann in dieser völlig neuen Situation. Ich finde daher, dass die Politik das Allermeiste gut gemacht hat.
Die Lage wird aber nicht besser
Arndt G. Kirchhoff: Wir haben es aber besser gemacht als andere Länder. Bisher sind wir im Vergleich noch mit einem blauen Auge davongekommen. Und wir haben einen Impfstoff und bessere Aussichten auf das Frühjahr.
Erst einmal haben wir einen harten Lockdown mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen.
Arndt G. Kirchhoff: Es stimmt, wir müssen jetzt schon über eine Exit-Strategie sprechen. Die fehlt. Die Politik muss die Zeit zwischen den Jahren nutzen, um darüber nachzudenken. Ich glaube, am 5. Januar ist die nächste Krisensitzung. Bis dahin sollte es eine Vorstellung geben, wie es weiter geht.
Die Zahlen sprechen gegen eine schnelle Lockerung, oder?
Arndt G. Kirchhoff: Wir sollten unsere Möglichkeiten besser ausschöpfen. Wir haben eine Corona-Warn-App, ja. Aber wir könnten auch QR-Tracking-Apps einsetzen. Diese Möglichkeit wird in anderen Teilen der Welt bereits genutzt. Ich sage ganz klar: In dieser Situation würde ich Gesundheitsschutz vor Datenschutz stellen. Bis die Situation wieder unter Kontrolle ist. Wenn wir das im Frühjahr bereits getan hätten, wären wir weiter.
Ein heikles Thema.
Arndt G. Kirchhoff: Ja, und grundsätzlich sollten darüber auch die Parlamente entscheiden. Sie müssen beteiligt werden. Ich finde auch eine regionale Differenzierung richtig. Man muss im Märkischen Kreis andere Maßnahmen treffen können als im Berchtesgadener Land, wenn es die Umstände erfordern.
Hat Bayern die Krise besser im Griff als NRW?
Arndt G. Kirchhoff: Den Zahlen nach zu urteilen nicht. Noch einmal. Es sollte keine pauschalen Antworten auf das Infektionsgeschehen geben.
Sollte es denn pauschal mehr Hilfe für die Wirtschaft geben?
Arndt G. Kirchhoff: Also wenn ich an die Gastronomie oder aktuell an den Einzelhandel und die Friseure denke, sehe ich es so: Wenn ich als Staat jemandem das Geschäft verbiete, dann muss ich dafür aufkommen. Das kostet viel Geld.
Sind die Milliardenpakete heute bereits eine zu schwere Hypothek für die Zukunft?
Arndt G. Kirchhoff: Nicht zwangsläufig. Wir kommen von einer Verschuldung von weniger als 60 Prozent gemessen am BIP. Durch die bisher beschlossenen Milliardenhilfen nähern wir uns 75 Prozent. In der Finanzkrise waren wir bei über 80 Prozent. Wir können uns das für eine Übergangszeit leisten. Aber je länger die Krise dauert, desto schwieriger wird es. Wir müssen möglichst schnell wieder einen kräftigen Aufschwung erreichen, damit sich die Kassen wieder füllen können. Denn der Staat profitiert in hohem Maße von erfolgreichen Unternehmen und hoher Beschäftigung. Die Industrie läuft ja Gott sei Dank. Das ist allerdings unsere Stärke und Achillesferse zugleich.
Eilt China der deutschen Wirtschaft nicht gerade davon?
Arndt G. Kirchhoff: Davoneilen würde ich nicht sagen. Die haben eine tollen Lauf, haben sehr gute Wachstumsvoraussetzungen geschaffen. Tolle Infrastruktur. Wachstum des Wohlstands in den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten. Auch Firmen wie wir (Kirchhoff Automotive) profitieren sehr vom chinesischen Markt.
Aber die Abhängigkeit wächst zusehends.
Arndt G. Kirchhoff: Die Dax-30-Unternehmen machen 18 Prozent ihres Umsatzes mit China. VW sogar 40 Prozent. BMW auch 30 Prozent - wir etwa zehn Prozent. Die Zusammenarbeit mit China ist nicht schlecht. Schlecht sind die Handelsbeschränkungen. Hier hoffen wir auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden.
Fließt nicht zu viel Know-how aus Deutschland und Europa nach Asien ab?
Arndt G. Kirchhoff: China bleibt ein totalitärer Staat. Wir würden in China nichts entwickeln, was unser Basis-Know-how betrifft. In der Tat dürfen wir uns nicht alles gefallen lassen, müssen Geschäfte stärker auf Augenhöhe machen. Das geht, denn die Chinesen wissen, dass wir in vielen Bereichen immer noch Weltmarktführer sind. Letztlich müssen wir die Dinge allerdings europäisch lösen.
Wie?
Arndt G. Kirchhoff: Die Europäische Union stellt im neuen Haushalt 750 Milliarden Euro unter anderem zur Transformation hin zu Klimaneutralität Verfügung. So viel Geld hat Amerika nicht. Und die Chinesen haben es auch nicht bereitgestellt. Wir müssen also die besseren Dinge erfinden. Die Basistechnologie haben wir dafür. Da sind wir immer noch führend. Wenn wir das in den kommenden Jahren schaffen, erreichen wir unsere Klimaziele und stärken unsere Wirtschaft nachhaltig.
Quelle: Westfalenpost https://www.wp.de/region/sauer-und-siegerland/aktuell-ist-gesundheitsschutz-wichtiger-als-datenschutz-id231211624.html