Ukraine-Krieg, stark steigende Energie- und Rohstoffpreise, Inflation, Materialengpässe und Nachwirkungen der Corona-Pandemie: Stressfaktoren hat das Jahr 2022 für Wirtschaft und Arbeitsmarkt einige bereitgehalten. Doch der Arbeitsmarkt entwickelte sich trotz der konjunkturellen Herausforderung stabil. Ein wesentlicher Grund, dass die Arbeitslosigkeit nicht angestiegen ist, seien Engpässe bei qualifizierten Arbeitskräften, lautete heute die Bilanz der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit, unternehmer nrw sowie des DGB NRW. Angesichts gestiegener Knappheit vor allem an qualifizierten Arbeitskräften, halten viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auch in konjunkturell schwierigen Zeiten an ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fest. So werde immer sichtbarer: Damit der Arbeitsmarkt auch über 2023 hinaus stabil bleibt, muss in die Menschen investiert werden.
Der NRW-Arbeitsmarkt ist 2022 trotz schwieriger konjunktureller Einflussfaktoren weitestgehend stabil geblieben. Die Zahl sozialversicherter Beschäftigter übertraf in NRW zum ersten Mal die Marke von 7,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit lag mit rund 668.000 arbeitslos gemeldeten Menschen um 56.500 Personen unter der des Vorjahres.
Im Jahresverlauf machte sich allerdings auch die konjunkturelle Abschwächung bemerkbar. Im Oktober und im November waren zum ersten Mal seit Mai 2021 mehr Menschen arbeitslos gemeldet als ein Jahr zuvor. Im November lag die Arbeitslosigkeit um rund 18.000 Menschen oder 2,7 Prozent höher als im November 2021. Darunter rund 40.000 arbeitslose ukrainische Männer und Frauen, die nach dem 24. Februar vor dem russischen Überfall auf ihr Land nach NRW geflohen waren. Wichtige Faktoren waren die Entwicklungen bei Neueinstellungen und Jobverlusten: „Unternehmen haben 2022 weniger arbeitslose Menschen neu eingestellt“, sagte Torsten Withake, Leiter der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit. „Dass sie gleichzeitig aber auch auf Entlassungen trotz der unsicheren konjunkturellen Lage verzichtet haben, hat dem Arbeitsmarkt Stabilität verliehen.“
Dahinter steht ein Trend. Aktuell ist der Arbeitsmarkt von Personalengpässe in vielen Branchen geprägt. Vor allem während der Urlaubszeit im Sommer gab es einen Vorgeschmack darauf, was fehlende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem qualifizierte, für die Wirtschaft und unsere Gesellschaft in Zukunft bedeuten könnte. Vor diesem Hintergrund und dem anhaltenden Bedarf an Fachkräften sehen Regionaldirektion NRW, unternehmer nrw und DGB NRW den Arbeitsmarkt auch 2023 noch auf einem stabilen Kurs. Allerdings seien angesichts der technologischen wie demografischen Transformation wichtige arbeitsmarktpolitische Weichen vor allem in der Aus- und Weiterbildung zu stellen.
Torsten Withake, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit:
„2022 ist der Arbeitsmarkt in NRW trotz steigender Energiekosten und wachsender Inflation stabil geblieben. Das ist eine gute Nachricht. Diese Stabilität gründet sich zu guten Teilen auf der Überzeugung der Wirtschaft, qualifizierte Arbeitskräfte trotz der konjunkturell unsicheren Situation zu halten. Wir rechnen daher auch für 2023 mit einem weitestgehend stabilen Arbeitsmarkt und einer stabilen Beschäftigung.
Allerdings wird die Fachkräftesicherung zunehmend zur Herausforderung für Unternehmen. So werden die Auswirkungen der demografischen Entwicklung immer spürbarer. Die selbe Aufmerksamkeit verdienen auch die Anpassungen, die sich durch die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung der Wirtschaft für die Jobs von Millionen von Menschen in NRW abzeichnen. Mit ihr steigen die Ansprüche an die Qualifikation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – wie auch an die Weiterentwicklung der Unternehmen. Deshalb stehen die Beraterinnen und Berater aus den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern allen als Begleiterinnen in dieser Transformation mit Beratung, Unterstützung und auch finanzieller Förderungen von Qualifizierung zur Seite. Die Vermittlung in Beschäftigung und auch des Nachwuchses in Ausbildung bleiben dabei auch zukünftig weiter im Fokus unserer Arbeit.
Ich freue mich, dass wir in NRW ein gutes Fundament der vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit aller Partner haben, auf das wir bauen können, um die notwendigen Veränderungen am Arbeits- und Ausbildungsmarkt erfolgreich umzusetzen. So wird es uns auch gut gelingen, die neuen Möglichkeiten die zum Beispiel die Einführung des Bürgergeldes beinhaltet, im kommenden Jahr für die berufliche Qualifizierung zu nutzen.“
Anja Weber, Vorsitzende Deutscher Gewerkschaftsbund NRW:
„Die Achillesferse des NRW-Arbeitsmarktes ist die Fachkräftelücke. Neben besseren Bedingungen zur Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland müssen wir dringend unsere inländischen Potenziale heben. Viele Menschen in NRW warten darauf, endlich eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen. Hier müssen Politik und Unternehmen ihre Hausaufgaben machen. Derzeit hat jeder fünfte junge Mensch in NRW keinen Berufsabschluss und steht daher dem Arbeitsmarkt nicht als Fachkraft zur Verfügung. Wir brauchen endlich eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie, damit jeder Jugendliche, der einen Ausbildungsplatz sucht, auch einen bekommt. Auf eine Chance warten auch viele Langzeitarbeitslose. Sie müssen besser unterstützt werden, um wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Das neue Bürgergeld ist ein Schritt in die richtige Richtung, darüber hinaus muss der soziale Arbeitsmarkt in NRW verstetigt und ausgebaut werden. Zudem müssen wir die Tarifbindung stärken. In einigen Branchen sind die Arbeitsbedingungen einfach zu schlecht und die Löhne zu niedrig, um geeignetes Personal zu finden. Die Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag Regelungen für mehr Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen angekündigt - diese müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Und es ist unerlässlich, die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter zu erhöhen. Unzureichende Kinderbetreuung, überkommene Gesetze wie das Ehegattensplitting und familienfeindliche Arbeitszeiten hindern viele Frauen daran, ihrer Qualifikation angemessen zu arbeiten.“
Arndt Günter Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e.V. (unternehmer nrw):
„Auch im Jahr 2022 war die Lage für die Wirtschaft in NRW alles andere als leicht. Der zu Jahresbeginn noch große Optimismus ist durch den Angriffskrieg Russland auf die Ukraine und dessen Auswirkungen auch auf unser Land ausgebremst worden. Die Energiekrise ist mit massiven Kostensteigerungen und großen Unsicherheiten verbunden. Beides ist Gift für die wirtschaftliche Entwicklung. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich der Arbeitsmarkt als robust erweist. Unternehmen haben seit Beginn der Dauerkrise Arbeitsplätze erhalten, oft auch auf Kosten der Substanz. Damit der Arbeitsmarkt weiterhin stabil bleibt, brauchen Unternehmen verlässliche Perspektiven. Wichtig dafür sind insbesondere Entlastungen bei den Energiepreisen und die Umsetzung des von der Bundesregierung angekündigten Belastungsmoratoriums.
Ein zentraler Grund, warum die Betriebe auch in diesen schwierigen Zeiten so engagiert an ihren Mitarbeitern festhalten, ist der Fachkräftemangel. Er bremst schon jetzt viele Betriebe aus und wird sich noch verstärken, wenn wir nicht wirksam gegensteuern. Selbstverständlich ist, dass wir als Wirtschaft selbst viel tun müssen und auch tun - etwa durch ein hohes Ausbildungsengagement, durch eine umfassende Weiterbildung oder durch flexible Arbeitszeiten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir brauchen aber auch die Politik, die die Rahmenbedingungen für die Fachkräftesicherung verbessern muss. Wichtig ist mir dabei, dass wir sowohl unsere inländischen Potenziale als auch die qualifizierte Zuwanderung gleichermaßen nutzen und nicht gegeneinander ausspielen. Wir brauchen beides! Vordringlich ist auch, dass wir das Potenzial der Langzeitarbeitslosen heben. Gerade hier in NRW ist dies noch eine viel zu große Gruppe. Dafür ist es wichtig, dass wir am Prinzip „Fördern und Fordern“ festhalten.“
Weitere Informationen zum Arbeitsmarkt in NRW 2022 finden Sie zusammengestellt in einer ausführlichen Broschüre auf der Seite der Arbeitsmarktbeobachtung der Regionaldirektion NRW